Dieses Märchen ist keine wirkliche Auftragsarbeit. Vielmehr eine Hommage an meine Zeit auf der „Herbstausstellung Märchenzauber“ der Messe Kassel, wo ich als Märchenerzählerin gebucht war und eine sehr schöne Zeit hatte. Ich traf faszinierende Leute und beeindruckende Künstler. Und so entstand ein Märchen, in dem (fast) alle Künstler einen Gastauftritt haben: Mia Shinda als die Glückskatze, Die Maus Cassiopeia von „Magalies Mäuseroulette„, „Incanto Erlebniskunst eK“ als der Waldgeist, Holger Schäfer als der Minnesänger, Fabian Regenbogen als der Zauberer, Walerij Bastron als der Maler und Marie Bär als die Geschichtenerzählerin.
Die Geschichte der ersten Katze
Zu einer Zeit, als es noch keine Katzen gab, kam aus einem fernen Land die erste Katze zu uns. Ihr Fell war seidig schwarz und ihr Näschen trug einen großen, weißen Stern, der sich über ihr Kinn und die Wangen ausbreitete. Auch ihre Augen waren von einem weißen Streifen umgeben und funkelten mit einer lustigen Neugierde. Sie hörte auf den Namen Kimarna und sprach in einer Sprache, die wir hierzulande nicht verstanden. Dadurch war es ihr unmöglich, den Wesen, denen sie begegnete, ihre Geschichte zu erzählen.
Und doch ist diese Geschichte erzählenswert. Denn wisset, diese kleine schwarze Katze aus den fernen Landen ist eine Glückskatze. So, wie es seither alle Katzen sind. Sie war aus ihrer Heimat gekommen, um uns wahres Glück hier her zu bringen. Weil die hiesigen Wesen aber keine Katzen kannten, schreckte sie es, wenn sie Kimarna begegneten und sie gingen ihr aus dem Weg. Kimarna jedoch hatte nichts als den Wunsch, die Welt kennen zu lernen und uns ein damals nie gekanntes Glück zu zeigen.
Einsam und von der Welt abgelehnt rastete Kimarna eines Tages traurig unter einer mächtigen Linde. Sie seufzte tief und überlegte, ob sie doch zurückkehren sollte, in die Welt aus der sie kam. Da hörte sie plötzlich ein leises Piepsen neben sich. „Warum weinst du?“, fragte die unbekannte Stimme. Kimarna schaute sich verwundert um, aber sie sah niemanden. „Wer ist da?“, fragte sie. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass sie hier niemand verstehen konnte und sie sackte traurig in sich zusammen.
Da tauchte eine kleine Maus vor ihr auf und streckte ihr neugierig das Näschen entgegen. „Ich bin Cassiopeia“, piepste die Maus. „Und wer bist du? Oder sollte ich lieber fragen, was du bist?“ Kimarna schaute erstaunt auf die Maus vor ihr. „Du kannst mich verstehen?“, fragte sie ungläubig und die Maus nickte. „Natürlich kann ich das. Und jetzt wüsste ich gerne meine Fragen beantwortet: Wer und was bist du?“ Kimarna erzählte nun ihre Geschichte. Cassiopeia nickte. „So sei uns hier willkommen, Katze Kimarna aus den fernen Landen.“ Kimarna lächelte dankbar. Dann zögerte sie. „Nun sag mir aber, wie es kommt, dass du mich verstehen kannst? Und warum hast du keine Angst vor mir, wie all die anderen?“ Die Maus winkte ab. „Ich habe in meinem Leben schon gar viel gesehen und weiß, dass nicht alles so ist, wie es zu sein scheint. Denn wisse, ich war nicht immer eine Maus. Ich war dereinst eine mächtige Zauberin. Durch ein Ungeschick habe ich mich selbst in eine Maus verzaubert und komme nun nicht mehr zurück in meine wahre Gestalt. Daher bin ich auf der Suche nach einem mächtigen Magiewesen, das mir helfen kann, meine alte Form zurück zu erlangen.“ Da lächelte Kimarna und sprach: „So will ich dir dabei helfen.“
Cassiopeia, die Maus, schaute verwundert. „Wie willst du mir helfen? Hast du selbst Magie? Oder ist dir ein mächtiges Magiewesen bekannt?“ Kimarna schüttelte den Kopf. „Nichts davon. Aber ich bringe Glück. Wenn du es gut mit mir meinst und mich recht berührst, so werden Geschicke in Gang gesetzt, die dir einen Wunsch erfüllen können.“ Da schmiegte sich Cassiopeia so an Kimarnas Samtpfote, dass diese zu Schnurren begann und sprach einen Wunsch.
Da kam ein Wind auf, der die Blätter des Waldes rascheln ließ. Aus diesem Wind formte sich eine mystische Gestalt, in Moss und grüne Stoffe gehüllt und mit langem, rotbraunem Haar. Diese sanfte, würdevolle Gestalt sprach mit dem Flüstern des Windes: „ich bin der Geist des Waldes. Wer ruft mich?“ Kimarna und Cassiopeia schwiegen überwältigt. Schließlich aber sprach Cassiopeia: „Ich bin die Hexe Cassiopeia und suche ein Zauberwesen, das mir helfen kann, meine wahre Gestalt zurück zu erlangen.“ – „Dieses Zauberwesen bin ich nicht“, antwortete der Wind. „Doch ich kann euch zu dem Zauberer bringen. Springt auf.“ Da beugte sich der Waldgeist hinab und nahm die Katze und die Maus auf ihre Schultern. Dann wuchs sie empor, dass sie fast bis zu den Wipfeln der höchsten Bäume reichte und durchquerte mit großen Schritten das Land. Schließlich kamen sie an den Rand einer Stadt. Da ließ der Waldgeist seine Begleiter hinab und wies auf die Stadt. Als der Waldgeist den Kuss zum Abschied von den Fingern hauchte, löste sich ihre Gestalt wieder auf und ward wieder zu dem mystischen Wind, der die Welt belebt.
Kimarna, die Katze, und Cassiopeia, die Maus, machten sich auf den Weg in die Stadt. Sie huschten durch die schmalen Gassen. Da blieb Kimarna plötzlich bewegungslos stehen. Ihr Näschen zuckte und ihre Ohren suchten woher wohl diese traumhaften Klänge kämen, die sie soeben vernommen hatte. Cassiopeia jedoch hatte nichts gehört und war achtlos weitergelaufen.
Ganz vorsichtig schlich Kimarna den lieblichen Melodien entgegen. Schließlich stand sie in der Stube eines Minnesängers. Er war in sein Harfenspiel vertieft und bemerkte den Besucher nicht. Kimarna aber war gerührt. Noch nie hatte sie derartiges Gehört. Da legte sie sich auf den Saum des Mantels, den der Minnesänger umgelegt hatte, rollte sich zusammen und begann zu schnurren. Der Minnesänger bemerkte es zunächst nicht recht, doch sein Spiel nahm neue Melodien an, die gar gut zu dem Schnurren passten. Dann zögerte er. Die Klänge verstummten. Kimarna hörte auf zu Schnurren. Der Minnesänger schaute sich um und entdeckte die Katze auf seinem Mantel. Kimarna schaute ihrerseits zu ihm hoch. Und so schauten sie sich erstmal eine Weile an. Dann fragte der Minnesänger: „Hast du dieses wundersam schöne Geräusch gemacht?“ Kimarna bejahte dies und es klang dem Mann wie ein Maunzen. Erstaunt zog er die Brauen hoch. Dieses wundersame Wesen schien ihm wie pure Melodie. Vorsichtig bot er ihr seine Hand. Sie schnupperte und roch nichts als Wohlwollen. Da stupste sie seine Hand mit der Nase an und der Hafenspieler nahm Kimarna auf seinen Schoß, um sie zu streicheln, sodass sie wieder zu Schnurren begann.
So saßen sie eine Weile, bis Cassiopeia ihre Nase in die Stube hinein streckte. Kimarna schreckte auf und die beiden begannen ein inniges Gespräch, das für den Minnesänger fast wie ein Streit aussah. Dann blickten sie ihn beide an und versuchten, ihre Geschichten zu erzählen. Doch der Minnesänger konnte sie nicht verstehen. Da seufzte er. Und während er Kimarnas schnurrenden Rücken streichelte, sprach er: „Ich wünschte, ich könnte euch verstehen!“ Da kam ihm eine gute Idee: „Ich weiß“, rief er. „Lasst uns zum Zauberer gehen! Der wird uns sicherlich helfen können!“ Und so machten sie sich auf zum Zauberer der Stadt.
Dieser lebte in einem Zirkuszelt und trug einen hohen, blauen Hut. Der Minnesänger zeigte dem Zauberer die Katze und sprach: „Sieh, welch seltsames Geschöpf mich gefunden hat. Ich wüsste nur zu gern ihre Geschichte. Kannst du nicht einen Zauber sprechen, dass wir sie verstehen?“ Der Zauberer aber schüttelte den Kopf. „Ich bin der Magie zwar mächtig, doch ich kann nur verzaubern, was bereits magisch ist.“ Da sprang Cassiopeia, die Maus hervor und bat den Zauberer um Hilfe. Da schaute der Zauberer ganz erstaunt auf die Maus, zeigte auf sie und sprach: „Dich kann ich verstehen!“
Da erzählte Cassiopeia, was sie wusste und auch, was sie selbst wünschte. Der Zauberer hörte geduldig zu. Schließlich sprach er: „Der Magier, den du suchst, bin ich nicht. Doch ich weiß dir zu helfen. Ich werde dir einen Zauber geben, der es dir ermöglichen wird, mit dem einen Menschen zu sprechen, den du suchst.“ Mit diesen Worten band der Zauberer der Maus Cassiopeia ein Maiskorn um. Wenn dieses Maiskorn seine Form veränderte, würde der nahe Mensch Cassiopeia verstehen.
Dann wandte sich der Zauberer an den Minnesänger: „Wenn dich die Geschichte des Katzenwesens wahrlich interessiert, so musst du gehen, um die Geschichtserzählerin zu finden.“
So machten sich der Minnesänger, Cassiopeia und Kirmarna auf den Weg. Sie zogen von Dorf zu Dorf. Doch sie fanden weder die Geschichtserzählerin, noch jene Person, mit der Cassiopeia sprechen konnte. Wen sie jedoch trafen, war ein Maler. Er lebte in einer Hütte, die tief im Wald lag und malte prachtvolle Bilder von Hirschen und Mythengestalten. Da er der Kunst, den Träumen und dem Ungreifbaren recht nah war, fand er schnell Gefallen an der ungleichen Gruppe und lud sie ein, bei ihm zu Rasten. Des Abends dann saßen sie im trauten Gespräch beisammen. Der Maler war ganz angetan von Kimarna und lockte sie zu sich. Schnurrend strich sie ihm um die Beine. Der Maler war entzückt und streichelte sie bewundernd über den Rücken. „Wie anmutig du bist. Mit Fell wie Samt und Seide zugleich. So etwas Wunderbares wie dich habe ich meinen Lebtag noch nicht gesehen. Ach, wenn es nur mehr Wesen wie dich gäbe. Was wäre das eine Bereicherung für die Welt.“
Da erwachte in den Schatten der Welt das schnurrende Miauen der Katzen. Sie sollten bald den Platz bei den Menschen einnehmen und mit bewundernder Zuneigung verwöhnt werden. Mit ihrem Schnurren, ihrer Eleganz und ihrer bloßen Anwesenheit würden sie die Welt bereichern. Kimarna, Cassiopeia und der Minnesänger jedoch wussten nichts davon.
Als sie am nächsten Morgen aufbrechen wollten, sagte der Minnesänger, dass er noch eine Zeit bei dem Maler bleiben würde, um den künstlerischen Austausch zu genießen. Ihre Künste könnten voneinander wohl profitieren. Beim Abschied bat er Kimarna, die Katze, dass sie ihren Weg fort führen würde, um die Geschichtenerzählerin zu finden. So dass die Welt eines Tages erfahren würde, was Kimarna noch nicht zu sagen vermochte.
So setzten Kimarna und Cassiopeia ihre Reise fort. Bald aber kamen sie an eine Weggabelung. Kimarna und Cassiopeia schauten sich lange an. Schließlich aber entschlossen sie sich schweren Herzens, sich zu trennen.
Cassiopeia reiste gegen Norden. Eines Tages begegnete sie im Wald einer seltsamen Frau. Sie saß auf einer Lichtung und teilte mit einigen Mäusen ihr Brot. Dabei erzählte sie und lachte und ging auf die einzelnen Mäuse ein, die es bei ihr gut zu haben schienen. Cassiopeia fühlte sich von diesem friedlichen Bild angezogen, doch nährte sich nur ganz vorsichtig. Schrittlein für Schrittlein nährte sie sich der Frau mit zitterndem Näschen, als es plötzlich laut ploppte. Cassiopeia erschreckte sich fürchterlich und sowohl die Frau als auch all ihre Mäuse blickten sie an. Das Maiskorn nun weiß erblüht und Cassiopeia hatte durch ihre eigene Magie und die des Zauberers die Fähigkeit erhalten, sowohl mit den Mäusen als auch mit der Mäusefängerin zu reden. Da erzählte sie ihnen ihre Geschichte. Die Mäusefängerin erklärte sich gerne bereit, Cassiopeia bei ihrer Suche nach einem magischen Wesen zu helfen, sodass sie ihre menschliche Gestalt zurückerhalten würde. So wurde Cassiopeia liebevoll aufgenommen und
reiste mit dieser kleinen Familie umher. Die Mäusefängerin erfreute die Leute mit einem fahrenden Mäuseroulette, von dem Cassiopeia nun ein Teil sein würde. So erhielt Cassiopeia ein warmes Nest, spannende Begegnungen und viele Mäusegeschwister. Und nach einer Zeit war sich Cassiopeia gar nicht mehr so sicher, ob sie wirklich wieder ein Mensch werden wollte. Denn in diesem Leben war sie nun glücklich.
Kimarna wanderte derweil nach Süden. Sie vermisste ihre Freundin Cassiopeia, die Maus. Denn ohne sie gab es niemanden mehr, der sie verstehen konnte. Bald aber begegneten ihr auf ihrem Weg Katzen, die von dem Wunsch des Malers ins Leben gerufen worden waren. Und sie sah die Veränderung in den Menschen. Sie sah, dass die Menschen durch das Schnurren der Katzen nunmehr verstanden hatten, welches Glück sie der Welt zeigen wollte. Das freute Kimarna und sie war zufrieden. So gab sie die Suche nach der Geschichtenerzählerin auf. Stattdessen fand sie am Rande der Wüste den Emir Kadir, der sich ihrer annahm. Er kleidete sie in dunkelroten Damast und schmückte sie mit wertvollen Ornamenten aus Gold. Schließlich lehrte er sie das Sprechen in unserer Sprache. Kimarna begann, auf den Hinterpfoten zu gehen. Und bei jedem Schritt füllten ihre Glöckchen und die Goldketten ihre Umgebung mit zärtlichen Klirren. Kimarna genoss den Wohlstand und die Hingabe, mit der Kadir sie überschüttete. Und sie entschied sich, an seiner Seite zu bleiben.
So verbrachten Kimarna und Cassiopeia jeder für sich ein gutes Leben. Sie fragten sich oft, wie es wohl ihrer Freundin ergangen war. Doch sie hatten keine Hoffnung, einander je wieder zu sehen. Das Schicksal aber hatte andere Pläne. All die Wege, die sich dereinst getrennt hatten, führten sich eines Tages auf einem großen Fest zusammen. Kimarna war mit ihrem Kadir die lange Reise angetreten, um das Fest der Geschichten zu begehen. Und Cassandra kam mit ihrer Mäusefängerin. Der Maler, der Zauberer und auch der Minnesänger. Sie alle führten ihre Schritte unabhängig voneinander zu diesem großen Fest. Auch der Waldgeist huschte durch die Hallen. Und endlich sahen Kimarna und Cassiopeia sich wieder. Sie begrüßten sich und erzählten, wie es ihnen ergangen war. Und dann fiel ihr Blick auf ein großes, in rote Tücher gehülltes Zelt, das auf dem Fest stand.
Bedächtig traten sie ein in dieses Zelt. Kimarna Herz tat einen Hüpfer und sie wusste, dass sie nun der Geschichtenerzählerin gegenüberstand. Sie setzten sich zu ihr und Kimarna erzählte ihre Geschichte. Eine Geschichte über Freundschaft und Akzeptanz. Eine Geschichte über Wünsche und Talente. Eine Geschichte über einzigartige Wesen und ihrer Suche nach dem Weg, ihre jeweiligen Einzigartigkeiten einzubringen. Eine Geschichte, die die Geschichtenerzählerin von nun an in ihrem Herzen bewahren würde, um sie in die Welt hinaus zu tragen.











































































