Sommer 2023: Landesgartenschau Höxter

Ich hatte 2023 die Möglichkeit, Teil des Programmes der 19. Landesgartenschau von Nordrein-Westfahlen in Höxter an der Weser zu sein. In der Zeit vom 20.04-15.10.2023 finden in einem wunderschön hergerichteten Höxter diverse Veranstaltungen statt. Ich werde mit meinen Märchen und diversen Lesungen ein Teil davon sein, oder in Gewandung über das Gelände streifen. Wenn ich keine geplanten Lesungen gebe, ist es natürlich trotzdem möglich, mich in Gespräche zu verwickeln oder eine kleine Privatlesung zu erhalten. Die Termine, an denen ich voraussichtlich anwesend sein und Lesungen halten werde, sind:

20.04.2023 – Eröffnungstag

25.04.2023 – Der Tag des Baumes: Der Wunderbaum / Goldregen

29.04.2023 – Der Tag des Tanzes: Die kleine Tänzerin / Das Spiegelmädchen

06.05.2023 – Das Genuss-Wochenende: Die Wunder der Alltäglichkeit

24.06.2023 – Rosenduft und Märchen: Die Wunder der Alltäglichkeit / Die schwarze Rose

01.07.2023 – Tag der Gesundheit: Die Wunder der Alltäglichkeit / Das verborgene Licht

02.07.2023 – Tag der Literatur

16.07.2023 – Märchentag

25.09.2023 – Weltherztag: Das zerbrochene Herz / Milas Gebet

15.10.2023 – Abschluss


Am 20.04 war die Eröffnung. Ich meanderte über das Gelände, schaute mir
schöne Orte an, an denen ich mich später aufhalten könnte und knüpfte erste
Kontakte. Später am Tag traf ich unerwartet auf Oliver Köhler vom WDR.
Es entwickelte sich ein Gespräch, an dessen Ende ich für "Hier und Heute"
interviewt wurde. Ich bin von Minute 13:30-14:47 zu sehen.
Es war ein sehr spannendes Erlebnis!

Für den 25.04 waren meine ersten Lesungen geplant. Die erste war leider
nicht so gut besucht, wie ich es mir gewünscht hätte. Es war unter der
Woche und eher kalt. Außerdem war die erste Lesung recht früh. Daher waren
bei der ersten Lesung keine Zuhörer. Wir nutzten diese Zeit also dafür, in
dem wunderschönen Ambiente der Mustergärten ein paar Fotos zu machen und
die Gegend noch besser zu erkunden. Bei der zweiten Lesung traf ich dann
auf ein sehr interessiertes Paar, das sich die Lesung gerne anhörte.
Ich las "Der Wunderbaum" und mir ging das Autorenherz dabei auf, wie sehr
die beiden sich darauf einließen. Sie waren so begeistert, dass sie sich
sogar die Folgetermine merken und ihren Freunden davon erzählen wollten.
Ich würde mich sehr freuen, die beiden noch einmal zu meinen Zuhörern
zählen zu können. Weiterhin spendete ich heute ein paar meiner Bücher
für den Bücherschrank im Lesegarten.

Ich hatte am 28.04 ein Mikrofon mit, um meine Stimme zu verstärken, und war
auf der Galeriebühne. Dieses Mal war die erste Lesung ("Die kleine Tänzerin")
besser, bei der sich ein einzelner Zuhörer zur Mitte des Märchens hin direkt
vor die Bühne stellte und mit geschlossenen Augen in dem Märchen eintauchte.
Das war sehr schön. Es ist immer wieder rührend zu sehen, wenn meine Märchen
Menschen erreichen. Auf die zweite Lesung ("Das Spiegelmädchen") schien aber
leider keiner groß zu reagieren. Aber ich sammle von Lesung zu Lesung immer
ein bisschen mehr Erfahrung und werde hoffentlich irgendwann im Verlauf
der Landesgartenschau noch wirklich erfüllende Momente haben. Dieses Mal
begann ich, die Lesungen mit Video aufzunehmen. So hatte ich zumindest eine
gewisse Motivation, überhaupt anzufangen, statt auf Zuhörer zu warten.

Der 07.05. begann damit, dass sich ein Hirschkäfer in meinem Bein gekniffen hatte. Das hat zwar nichts mit meinen Lesungen zu tun, war für mich aber trotzdem eine sehr faszinierende Begegnung. Bei der Lesung von "Die Wunder der Alltäglichkeit" stand eine kleine Familie vor mir und hörte zu. Nach der Lesung lobten sie meine sehr beruhigende Stimme, in der ich vorgetragen hatte. An jenem Tag war für den Nachmittag keine Lesung mehr angesetzt und ich nutzte die Zeit, um auf dem Gelände zu meandern und zu schauen, ob sich Begegnungen, Gespräche oder Spontanlesungen ergeben. Außerdem nutzte ich die Zeit, in der ein paar wunderschönen Anlage ein paar Fotos von meiner Gewandung zu machen. Nachmittags waren wir von den Galeriegärten zum beim Schöpfungsgarten angelangt und dort entwickelte sich ein Gespräch, das zu einer kleinen Privatlesung von "Die rote Träne" für fünf Leute führte. Es war eine schöne Stimmung und machte mir Vergnügen.



Irgendwie stand der 24.06 unter dem Motto der Drei. Ich gab drei Lesungen und
bei allen drei Lesungen begleiteten mich drei Zuhörer auf die Reise. Bei der
ersten Lesung entschied ich mich spontan, dass ich "Milas Gebet" lesen wolle,
statt "Die Wunder der Alltäglichkeit". Ein Elternpaar mit ihrer Tochter
setzten sich zu mir und lauschten. Als zweites Märchen las ich wie geplant
"Die schwarze Rose". Da es mein erstes Mal mit diesem Märchen war, war ich
durchaus überrascht, wie gut sich das Märchen zum Vorlesen eignet. Es machte
Vergnügen, in die Rollen zu schlüpfen und viel Schauspiel mit in die Lesung
mit einfließen zu lassen. Die Zuhörer waren dieses Mal ein Ehepaar und ein
Mann. Es war total schön, wenn ich in die Gesichter sah, und erkennen konnte,
dass sie eine gute Zeit hatten. Nahezu direkt nach der Lesung kam ein kleiner
Junge zu mir und fragte, ob hier die Lesung sei. Er zeigte sich betrübt, dass
es schon vorüber sei und ich bot ihm an, dass er mir noch ein paar weitere
Zuhörer holt und ich dann einfach ein Märchen seiner Wahl lese. Dafür bin ich
ja da. Er holte mir seine Schwester und seine - wie ich annehme - Großmutter.
Die Kinder wählten "Die rote Träne". Ich bin mir nicht sicher, ob sie dem
Märchen so viel abgewinnen konnten, aber auch sie schienen Spaß zu haben.
Die verbliebenden Termine konnte ich leider aus privaten Gründen nicht
wahrnehmen. Ich hätte mich sehr gefreut, "Das verborgene Licht" zum ersten Mal
vor Publikum zu lesen, freie Lesungen anzubieten und zu Meandern. Ich wäre
neugierig auf die Begegnungen und neuen Geschichten gewesen.
Aber leider kann man nichts machen, wenn das Leben zuschlägt. Und es war im
Nachhinein betrachtet eine sinnvolle Entscheidung.

Dennoch muss ich schweren Herzens zugeben, dass die Landesgartenschau Höxter
- wie schön und vielseitig sie auch war - nicht wirklich das richtige Ambiente
für meine Märchenlesungen war. Formell bin ich nach wie vor von der Themennähe
überzeugt. Aber es gelang mit vor Ort leider nicht, die Mischung aus Stimmung,
Ruhe, Erreichbarkeit und Bequemlichkeit, die ich für meine Märchenlesungen
gebraucht hätte, zu erzeugen. Vielleicht lässt sich das ein bisschen darauf
zurückführen, dass die Besucher mehr zum zwanglosen Flanieren gekommen waren
und es entsprechend etwas schwerer war, für eine halbe Stunde an einem Ort
zuzuhören, wenn das nicht vorher eingeplant war. Nicht zuletzt, weil der von
mit gewählte Standort vermutlich nicht genug für ein längeres Ausharren einlud.
Ich hatte mich bei der Wahl des Standortes für Ambiente und Ruhe entschieden.
Das ging aber nachhaltig auf Kosten von Erreichbarkeit und Bequemlichkeit. Ich
war am Ende des Geländes und sehr abgeschieden von dem verdichteten Getrubel
der Hauptattraktionen, wodurch ich nur sehr wenig "Laufkundschaft" hatte.
Das war gleichzeitig gut und schlecht: Die Lesungen waren sehr entspannt und
ungestört von äußerer Unruhe und Bewegung, aber dadurch kamen nicht viele
Leute zufällig vorbei, die sich spontan zum Zuhören entschließen konnten.
Dazu kam, dass es zu den Zeiten der Lesungen an meinem Standort oft zu hell
und zu warm war, was es potentiellen Zuhörern - kombiniert mit dem Fehlen von
(bequemen) Sitzgelegenheiten - sehr erschwerte, sich in Ruhe auf die gelesenen
Geschichten einzulassen. Das war sehr schade. Dennoch würde ich auch jetzt im
Nachhinein die Lokation der Galerie-Bühne den anderen (Lesegarten, Weserufer
und Schöpfungsgarten) vorziehen. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt und die
Atmosphäre war einfach extrem schön. Was ich allerdings gerne noch ausprobiert
hätte wäre, in einen der nahen Mustergärten zu gehen, wo es Schatten, einige
Stühle und Sitzsteine gab. Aber dazu kam es leider nicht mehr, da ich aus
privaten Gründen nicht an den restlichen Terminen teil nehmen konnte.

Was mir sehr leid tut ist, dass es mir schwer gefallen ist, bei dem Event
wirklich anzukommen. Ja, ich habe die Lesungen genossen, die Begegnungen haben
mich berührt, das Gelände war wirklich außergesprochen schön und ich habe die
eine oder andere neue Erfahrung gemacht. Aber trotzdem erzählt mein kleines
Künstlerherz von einem tiefen Bedauern darüber, dass es nicht "mehr" war.
Dass die Begegnungen hätten tiefer sein können. Dass die Lesungen hätten noch
besser sein können. Dass das Gefühl von Wertschätzung und Anerkennung hätte
präsenter sein können. Teilweise hatte dies vermutlich auch viel mit meinen
Entscheidungen zu tun. Aber ich fürchte, ein Stückweit habe ich dann mit
meinen Geschichten doch nicht so gut in das Setting gepasst, wie ich es mir
wohl vorgestellt und gewünscht hätte. Und während viel davon bereits
voraussehbar gewesen ist, bin ich doch froh, dass ich es ausprobiert habe.
Ich hoffe, dass mir die Erfahrungen, die ich auf diesem Event gesammelt habe
mich begleiten und in Zukunft hilfreich zur Seite stehen.

 

Impressionen:

künstlerische Selbsterfahrung

Kursname:                künstlerische Selbsterfahrung

Klientel:                    Privatpersonen

Kursleiter:                 Marie Bär

Terminanzahl:         nach Absprache, ggf. fortlaufend

Terminlänge:           60 Minuten pro Einheit

Inhalt:                                                                                                                                                                                                      Bei dem Wunsch nach persönlicher Entwicklung kann die künstlerische Selbsterfahrung den Rahmen bieten, um sich selbst im begleiteten künstlerischen Medium zu begegnen. Eine ausführlichere Beschreibung finden Sie in der Rubrik „Kreativberatung„.

Räumlichkeiten:    Büro in Kassel

Material:                    nach Absprache, zumeist Öl- und Pastellkreiden

Stundenkonzept:                                                                                                                                                                           Hier ist ein grober Entwurf dessen, was möglich ist. Der genaue Ablauf wird mit Ihnen abgestimmt und regelmäßig nachjustiert.

Die künstlerische Selbsterfahrung soll Ihnen helfen, sich mit der eigenen Weisheit, den eigenen Bedürfnissen und den eigenen Mustern auseinander zu setzen.

Hierfür begrüße ich Sie in meinen dafür vorbereiteten Räumlichkeiten und lade Sie zu einem kurzen Gespräch ein, in dem Sie die Möglichkeit haben, das zu teilen, was Sie gerade beschäftigt. Häufig zeigt sich da bereits ein Thema, zu dem sich eine Gestaltung anbietet. Die entsprechende Gestaltung entsteht frei auf einem Din A2 Papier mit Öl- und / oder Pastellkreiden. Die restliche Zeit wird im Gespräch verbracht, um den Inhalt des Bildes für Sie nutzbringend zu entschlüsseln. Ihr gestaltetes Bild nehmen Sie am Ende des Termins mit.

Die Stunden können je nach Ihren konkreten Bedürfnissen variieren. So können Traumreisen, Entspannungssitzungen oder konkrete Methodiken und Materialien je nach Bedarf ergänzend hinzugefügt werden. 

Preis:                           65 Euro pro Sitzung

Anmerkungen:                                                                                                                                                                                      Im Rahmen des Erstgespräches werden Eckdaten und Modalitäten Ihres Auftrages besprochen (z.B. Was ist das Ziel? Was ist die Ausgangssituation? In welchem Intervall sollen die Termine statt finden? Bis wann sollen die Termine stattfinden? …). Diese können im Verlauf des Prozesses aktualisiert und angepasst werden.

Der Willmuss

Tief in uns Menschen, auf den geheimen Landschaften unserer Herzen, leben die Impulse. Diese Impulse prägen unsere Denkmuster und Motivationen. Und formen dadurch unser Leben.

Einer dieser Impulse ist der Brauche. Er schlüpfte aus dem ersten Schrei des Säuglings, geboren aus dem drängenden Wunsch zu leben. Mit tränenfeuchten, großen Knopfaugen blickt er aus seinem pummligen Körper hinaus in die Welt. Seine Pauspacken und sein bunten, lockiges Fell lassen ihn gar niedlich und bedürftig erscheinen, sodass man ihm gerne etwas Gutes tut. Öffnet er jedoch seinen kleinen Schmollmund, so entschlüpft ihm ein Brüllen. Ein Brüllen, dass drängend und ungeduldig ist und direkt. Und nährt sich ihm das Begehrte, dann greift sein dreigliedriger Schweif danach und lässt es nimmer mehr gehen.

Der Wollen erwuchs aus der ersten Begierde. Die stechenden Augen über seiner schmalen Schnauze brennen vor Verlangen und die scharfen Krallen seines schlanken, sechsfüßigen Leibes sind bereit für den Kampf. Sein spitzer Schrei geht durch Mark und Bein. Er klingt fordernd und ist gespeist von der unbändigen Sorge, zu kurz zu kommen. Dieser Schrei erinnert an einen Angriff. Dieser Impuls ist stets bereit, seine hohen Ziele zu erreichen.

Auch gibt es den Sollte. Sein träger, dicker Körper behindert jede Bewegung und seine müden Augen blicken traurig in die Welt. Sein Rufen klingt stets wie ein erstickter Seufzer und wann immer er ihn tut, scheinen die harten Hornplatten auf seinem Rücken schwerer zu werden. Geboren ward er durch die äußeren Moralien, die seine vier hängenden Ohren gar gut entfangen und halten.

Die langen, sensiblen Schnurrhaare des Kann sind gar trefflich, um seine Nische zu finden. Und die kräftigen Beine seines muskulösen Körpers tragen ihn überall hin. Geboren ward dieser Impuls aus dem ersten Trotz. Er ist in jeder seiner Bewegungen stolz und kontrolliert. Er ist der Bruder des Wollen und gemeinsam können sie die Feuer des Trotzes entzünden und die Welt neu erschaffen. Doch zu welchem Preis?

Der Wunsch ist ein sanfter, gar unscheinbarer Impuls. Seine Augen sind zumeist geschlossen und seine Schnurrhaare vibrieren zu einer unhörbaren Melodie. Er ist geboren aus der reinen Demut und ist stets zurückhaltend, brav und vertrauensvoll. Er kuschelt sich gerne hinein in sein weiches, flauschiges Fell aus weiß-silbriger Wolle. Seine kurzen Beine tragen ihn nicht. Und will er sich bewegen, so öffnet er seine tiefen, traurigen Augen. Aus ihnen spricht eine so tiefe und rührende Sehnsucht, dass er getragen wird wo immer er hin will.

Der Muss entstand aus den ersten Regeln und Pflichten des Menschen. Regeln, die vom Außen herangereicht wurden an des Herzens Landschaft. Seine langen, schwarzen Haare fließen wie Teer über den Boden und machen jede Bewegung schwer. Seine schlaffen Ohren hängen schlapp hinunter und hören doch jedes auferlegte Wort. Dieser Impuls ist gar kräftig und trotz seines schweren Fells vermag er sich unerbittlich voran zu quälen. Was bleibt ihm auch? Denn seine vom filzigen Fell verborgenen Beine haben keine Knie und so kann er sich keine Pause gönnen. Zugleich ist dieser Impuls stets am Plappern und am Murmeln und ist nicht einen Augenblick lang still. Es ist ermüdend ihm zu lauschen. Denn er ist der Lauteste von allen und sein gemurmelter Schrei ist treibend und drängend.

Der Darf ist ein gar misstrauischer und scheuer Impuls. Seine großen, runden Ohren und die scharfen Knopfaugen eigenen gar trefflich, um Dinge von Außen wahr zu nehmen. Seine zierlichen Pfötchen sind hervorragend dafür, sich vorsichtig voran zu tasten. Und jegliche Bewegung, die er tut, tut er ausnahmslos mit der Erlaubnis anderer.

Das sind unsere Impulse. Geboren aus Mangel und Angst. Sie haben ihre Stärken, die uns durch das Leben tragen. Und sie haben ihre Schwächen, die uns bedrücken und binden. Der letzte Impuls, von dem ich erzählen werde, ist der Willmuss.

Der Willmuss ist ein gar possierliches Tierchen. Sein warmes Fell ist so weich wie Wattewolken und trägt auf dem Rücken ein lächelndes Gesicht als Muster. Das Fell ist dicht genug, um den Willmuss zu schützen und weich genug, dass man ihm etwas Gutes tun möchte. Sein rundlicher Kopf beherbergt neugierige Knopfaugen, eine Stupsnase und einen Mund, der ein ansteckendes Lächeln zu tragen scheint. Sein schnurrendes Maunzen ist nicht fordernd noch drängend, aber fest entschlossen in sich. Seine runden Ohren hören nur Gutes und wandeln jedes böses Wort in verdecktes Wohlwollen. Sein kuschliger Körper verbirgt eine immense Kraft und seine tappsigen Pranken verfügen über eine erstaunliche Anmut. Geboren ward dieser Impuls aus der Reinheit des Seins. Aus dem Gefühl von Richtigkeit und Entwicklung. Und alles an diesem Impuls spricht von einem untrüglichen Vertrauen in das Gute in der Welt.

Der Willmuss ist nicht laut doch unüberhörbar. Und wenn er spricht, werden die anderen Impulse still. Folgst du dem Willmuss und hörst ihm gut zu, so wird er dich tragen, wohin du gehörst. Denn er ist reiner als der Will und selbstbestimmter als der Muss. Er setzt Ziele ohne Mangel, Angst und Wut. Und er gibt dir, was immer du brauchst, um glücklich zu sein. Wann immer du also den Willmuss hörst, lausche ihm wohl. Und lass dich führen, wo dein Glück dich trifft.

Jenseits des Lichts

Grelles Licht strahlt mir entgegen. Ich verliere all meine Orientierung, weiß nicht wer noch wo ich bin. Mehr taumelnd als Gehend versuche ich, meine Orientierung und mein Gleichgewicht wieder zu erlangen. Aber es ist so schwer. Obgleich es nur Licht ist, dass in meinen Augen beißt, komme ich mir gelähmt vor und träge. Endlich verglüht das Licht. Es wird schwächer und schwächer. Viel zu langsam. Aber endlich schält sich ein Zimmer aus dem Weiß. Eine Küche mit Esszeile. Wo bin ich? Und warum bin ich hier? Und warum kommt mir diese Küche so seltsam vertraut vor? Ich fahre mit meiner Hand über die Holzbeschichtung der Theke. Viel zu glatt. Und ein bisschen kühl. Nicht sehr. Aber vielleicht zwei, drei Grad kälter als meine Körpertemperatur. Versonnen lasse ich meinen Blick über die Anrichte streichen. Wo bin ich?

„Äh-ähm!“ mein Körper zuckt zusammen unter dem Räusperte hinter mir. Ich Wirbel herum und starre in das Gesicht zweier mir unbekannten Frauen. „Ha … hallo …?“, stottere ich indem die fremden und skeptisch wirkenden Gesichter vor mir. Die eine Frau hat eine dunkle Haut und trägt ihre schwarzen Locken offen, sodass sie buschig von ihrem Kopf abstehen. Ihr gesamter, schlanker und doch muskulöser Körper streckt sich über ihre gesamte Höhe hinaus. Der Oberkörper mir zugewandt und die Hände vor der Brust verschränkt. Ihr schlanker Hals scheint noch mehr gestreckt zu sein als üblich, damit sie auf mich hinab schauen kann. Dabei ist sie kleiner als ich. Nicht viel, sie ist recht groß für eine Frau. Und doch fühle ich mich unter ihrem abweisenden Blick wie ein Eindringling. Aber ein Eindringling worein? Ich weiß doch nicht einmal, wo ich bin! Ihre Arme sind vor ihrer Brust verschränkt. Plötzlich bewegt sich etwas neben ihr. Die andere Frau winkt mir zu. Aber nicht begrüßend oder freundlich. „Tschüss“, sagte sie. Ihre Augen sind eiskalt. Dabei wären sie doch eigentlich sehr hübsch. Haselnussbraun. Mir hellen Sprenkeln. Ich ertappe mich bei dem Wunsch, näher an sie heran zu gehen, um die Farbe dieser Sprenkel heraus zu finden. Aber mein Körper bewegt sich nicht. Weder zu ihr hin noch von ihr weg. Sie ist kleiner als die Andere. Heller, von der Haut. Braungebrannt, aber dennoch hell. Zierlich. Und doch auch wieder nicht. Irgendwas an ihr zieht mich an. Und doch stößt mich alles ab. Ihre Hände sind abweisend auf ihre gewundenen Hüften gestützt, ihre Seite ist mir mehr zugewandt als ihre Front. Sie streicht ihre karamellbraunen Haare zurück, hinter ihr Ohr. Ein kleiner Ohrring blitzt auf. „Entschuldigung, bitte was?“, stammel ich. „Tschüss“, wiederholt die Frau erneut. Ebenso abweisend wie zuvor. „Du kannst doch nicht einfach an uns vorbei in unsere Küche spazieren und unsere Teke antatschen. Was glaubst du, wer du bist? Marlon Brandon?“, sagte die Dunkelhäutige. Ich schaue mich vollkommen verloren um. Die Frauen haben absolut recht. Wenn da ihre Wohnung ist, kann ich da nicht einfach rein spazieren. Aber wo zur Hölle bin ich und warum bin ich hier?!

„Hörst du schlecht?“, setzt die Kleinere nach. „Wir wollen, dass du Gehst!“ Ich zucke unter dem scharfen Ton zusammen. „Ja … ja, natürlich, Entschuldigung“, murmle ich. Dann mache ich mich auf den Weg zur Haustüre. Seltsam. Warum weiß ich so genau, wo es lang geht? Ich gehe durch den Flur. Mir fällt auf, wie seltsam steril er ist für den Hausflur zweier Frauen. Nur nackte, weiße Wände. Ein weißer Schuhschrank. Ein Spiegel mit weißen Rahmen. Als ich an ihm vorbei gehe, erhasche ich einen Glims meiner eigenen Gestalt. Seltsam. Sehe ich wirklich so aus? Meine dunklen Haare sind recht kurz geschnitten und liegen mit einem Seitenscheitel ordentlich auf meinem Kopf. Nur hier und da stehen einige Strähnen wiederwillig heraus. Ein Dreitagebart sprießt auf meinen Wangen. Um den Mund herum wird er etwas dichter und länger. Mein dunkelblaues Shirt ist mir entweder etwas zu klein oder extra so geschnitten, dass es über meiner muskulösen Brust spannt. Mir gefällt das nicht. Aber warum? Habe ich diese Kleidung nicht selbst gewählt? Ich schüttle den Kopf und gehe weiter. Weiter in das Weiß. Wieder dieses schreckliche, in den Augen brennende, Weiß. Aber sonst nichts. Keine Bilder, keine Zierde. Für Frauen sehr ungewöhnlich. Ich erröte ein bisschen bei diesem Gedanken und weise mich für dieses Vorurteil zurecht. Aber andererseits hatte ich auch nie wirklich großen Kontakt mit Frauenwohnungen. Glaube ich. Ich erinnere mich nicht.

Endlich komme ich zur Türe. Ich strecke meine Hand dem Türgriff entgegen um sie zu öffnen. Aber sie ist verschlossen. Ich bin so überrascht, dass ich voll gegen die Türe laufe. „Aua!“, protestiere ich, mehr aus Verwunderung als aus Schmerz. Die beiden Frauen stecken ihre Köpfe aus der Küche. „Ist er gerade wirklich gegen die Tür gerannt?!“, flüstert die eine. „Der ist doch total gestört! Oder voll auf Drogen! Ich hab doch gesagt, wir sollten lieber die Polizei rufen!“ Ich spüre die Wut in mir aufflammen. „Ich bin weder gestört noch auf Drogen oder sonst wie eingeschränkt“, knurre ich. Dann drehe ich mich genervt um und zeige auf die Haustüre. „Und wenn die Damen die Freundlichkeit hätten, ihre Türe wieder aufzuschließen, könnte ich dann auch endlich gehen!“ Das ist mir allmählich echt zu dumm! Die Frauen tauschen einen langen, unsicheren Blick aus. Ich verdrehe stöhnend die Augen. „Ernsthaft?! Ihr wollt mich doch los werden, also macht endlich die verdammte Türe auf!“ Nach einem weiteren unsicheren Blick zueinander, setzt sich die Kleine der Frauen in Bewegung. Die mit den karamellfarbenden Haaren. Ich mag es, wie sie sich bewegt. So in einem völlig eigenen Rhythmus. Sie wird langsamer, als sie mich erreicht. Und als sie sich nahe der Wand an mir vorbei schiebt, lässt sie mich nicht aus den Augen. Prüfend und taxierend ist ihr Blick. Wie ein scheues Reh. Sie greift nach dem Türgriff, ihre haselnussbrauen Augen weiter an mich geheftet. Mit einem trotzigen Blick drückt sie die Türklinke hinunter. Ihre Augen flackern. „Was zum …“, flüstert sie und wendet sich nun vollends der Türe zu. Mit kräftige, Nachdruck wackelt und zerrt sie an der verschlossenen Türe. Dann ruft sie nach der anderen. „Elli? Komm mal. Die Tür geht echt nicht auf!“ Lässig lehne ich mich an die Wand und betrachte das Treiben beider Frauen, die an der offensichtlich verschlossenen Haustüre ruckeln. Es hat durchaus etwas befriedigendes. Und … irgendwas an diesen Frauen fasziniert mich. Ihr Umgang miteinander ist angenehm. Ein schönes Schauspiel.

Krach! Stille. Die Frauen erstarren in ihrer Bewegung und drei Augenpaare starren ungläubig auf die abgebrochene Türklinke in der Hand der Braunhaarigen. „Och nö“, stöhnt die Frau namens Elli. Die andere ringt fassungslos nach Worten. Bevor ich weiß, was ich tue, schlage ich mir mit der flachen Hand auf die Stirn. Durch das Klatschen richten die Frauen ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich. Sie gehen ein paar Schritte zurück in den Flur um Abstand zwischen uns zu bringen. Ganz so, als hätten sie zuvor vergessen, dass ich noch da war. „Ach, kommt schon!“, bricht es aus mir heraus. „Jetzt tut doch nicht so, als wäre das meine Schuld! Ich weiß doch auch nicht, was hier läuft! Oder wo ich eigentlich bin!“

Die Frauen schauen sich lange an. Schließlich aber nicke die Braunhaarige nickt wiederwillig und gibt uns ein Zeichen, ihr in die Küche zu folgen. Als ich die Küche betrete lehnt sie bereits an der Theke und taxiert mich mit ihren haselnussbraunen Augen. „Warum bist du hier?“, beginnt sie ihr Verhör. Ich zucke mit den Schultern. „Ich weiß es gar nicht so genau. Ich erinnere mich nicht an die letzten Tage. Nur, dass es hell war und ich dann in eurer Küche stand.“ Ihre Augenbrauen zucken nach Oben. „Hm“, antwortet sie. Dann schaut sie auf Elli. „Und was soll’n wir jetzt mit dir machen?“, fragt diese. Ich seufze und verdrehe die Augen. „Also ehrlich! Ich weiß es doch auch nicht! Ich weiß nur, dass ich – warum auch immer – in eurer Küche stehe und nicht hier raus komme. Es ist ja nicht so, dass diese Situation für mich angenehm wäre! Ich schlage also vor, dass wir miteinander klar kommen, bis wir wissen, was hier läuft.“ Schweigen. Die Luft scheint mir greifbar zu sein vor Spannung. Auf einmal atmet die Frau mit den haselnussbraunen Augen scharf aus. Mit diesem Atemzug scheint alle Anspannung aus ihrem Körper zu entweichen. Sie nickt. „Ok“, murmelt sie. „Dann muss das wohl.“ Sie blickt mich an. Und es scheint mir ganz so, dass sie mich jetzt das erste Mal wirklich sieht. Ihre Augen taxieren mich von oben nach unten. Und wieder zurück. Ihr Blick scheint weicher zu werden. Sie nickt noch mal, stößt sich von der Theke ab. Sie steht nun nun direkt vor mir. Sie geht mir bis zu den Schultern. Als sie zu mir schaut, kann ich die blauen Sprenkel in ihren haselnussbraunen Augen erkennen. Mit einem Mal spüre ich den Drang, sie besser kennen zu lernen, sie in den Arm zu nehmen und sie zu beschützen. Aber ich dränge diesen Impuls zurück und verberge ihn ganz tief in mir. Ich versuche sie anzulächeln. Sie lächelt schief zurück. Dann streckt sie mir ihre Hand zur Begrüßung entgegen. „Ich bin Nicole“, sagt sie. Begeistert ist sie von meiner Anwesenheit eindeutig immer noch nicht. Ich nehme ihre Hand, schüttle sie und antworte: „David.“ Für einen Moment scheint die ganze Welt still zu stehen. Dann senkt sie den Blick ihrer haselnussbraunen Augen und lässt meine Hand los. Sie zeigt auf die andere Frau. „Das ist Elli“, sagt sie. Ich nicke Elli zu. Sie kommt mir entgegen und schüttelt meine Hand. „Du kriegst die Couch“, sagt sie abweisend.

Die Couch also. Die Frauen geben mir ein Kissen und eine dünne Decke und ich richte mich häuslich ein. Als ich versuche, meinen langen Körper irgendwie auf die kurze Couch zu bringen, höre ich Kichern aus dem Schlafzimmer. Ich wende den Blick und erhasche durch den dünnen Spalt der offenen Schlafzimmertüre einen Blick hinein. Nicole trägt eine hellblaue, lange und weite Hose und ein helles Oberteil mit dünnen Trägern. Der leichte Stoff schmeichelt ihren Bewegungen. Sie lächelt in das Zimmer, sie lächelt Elli an. Es ist ein schönes Lächeln. Dann schließt sie die Türe. Es wird dunkel in dem Zimmer, in dem ich liege. Ich höre, wie der Schlüssel im Türschloss herumgedreht wird. Und ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so einsam gefühlt wie jetzt. Alleine auf der Couch in der Wohnung zweier Frauen, die mich nicht bei sich haben wollen. Und ohne den Hauch einer Ahnung, warum ich hier bin.

Ich liege lange wach. Und da fällt mir zum ersten Mal auf, dass in dem Wohnzimmer keine Uhr hängt. Ich schlage die Decke zurück. Aus dem Schlafzimmer höre ich noch das Flüstern der Frauen. Die Stimmen klingen irgendwie beunruhigt. Ich gehe in die Küche und schaue mich um. Auch hier ist keine Uhr zu finden. Und als ich mir die Fenster ansehe, stelle ich fest, dass sie blind sind. Ich kann sie weder öffnen noch hinaus sehen. Ein blasses Licht erhellt die matte Scheibe. Aber ich kann nicht sagen, ob das Fenster nach Draußen führt, oder ein anderer Raum, in dem Licht angeschaltet wurde, dahinter liegt. Ich gehe zum Kühlschrank und mache ihn auf. Kälte schlägt mir entgegen. Und künstliches Licht. Der Kühlschrank ist leer. Aber das ist irgendwie nicht schlimm. Ich habe ohnehin keinen wirklichen Hunger. Ich schließe den Kühlschrank wieder und stehe von Neuem in dem dunklen Raum. Es dauert etwas, bis meine Augen sich an das fahle Licht gewöhnen. Ich bewege mich nicht. „Kannst du auch nicht schlafen?“ Ich schrecken zusammen und wirbele umher. Nicole steht hinter mir. Ich schaue sie an. Ihre Augen wirken so traurig. Ich nicke. „Ich auch nicht“. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. „Schon seit Tagen nicht! Wobei ich nicht einmal weiß, wie lange ich überhaupt hier bin! Du kannst hier nicht wissen, wann Tag ist und wann Nacht! Es ist einfach nicht zu erkennen! Du wirst nicht hungrig und nicht müde! David! Irgendwas stimmt hier überhaupt nicht! Ganz und gar nicht!“ Sie beginnt bitterlich zu weinen. Ich zögere. Ich kenne diese Frau eigentlich gar nicht. Aber sie steht hier vor mir und weint. Ich kann nicht anders. Ich gehe zögerlich auf sie zu. Mit offenen Armen. Wie auf ein scheuen Tier. Sie weint unbeirrt weiter. Ich berühre sie sanft an ihrem Oberarm. Und sie lehnt sich ein Stück weit in diese Berührung. Ich nehme sie in den Arm, drücke sie so sanft und fest wie es nur geht gegen meinen Oberkörper. Ich will sie nicht verschrecken, aber ich muss sie beschützen! Sie erwidert diese Umarmung, legt ihre Arme um meinen Rücken. Und weint. So sehr. Und ich versuche da zu sein für sie.

„Nicole?“, tönt Ellis Stimme aus dem Schlafzimmer. Angelockt von dem Schluchzen ihrer Freundin. Mein Körper zuckt unter dem Gefühl, etwas verbotenes zu tun. Dabei habe ich Nicole doch nur um Arm. Nicole scheint es ebenso zu gehen, denn ihre Trauer wird abgelöst von einem lauernden Harren. Wir hören Schritte und schrecken voneinander zurück. Wie zwei Teenager, die Angst davor haben, bei etwas erwischt zu werden. Elli kommt in die Küche. Sie schaut uns an. Sieht die tränennassen Wangen ihrer Freundin und schaut mich vorwurfsvoll an. Ich reiße verteidigend die Hände herauf. Ich habe nichts gemacht!, ist das Signal. Elli kneift ihre Augen nur noch mehr zusammen. Sie nimmt Nicole mit bestimmter Sanftheit am Oberarm und leitet sie zurück ins Schlafzimmer. Ohne mich auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Ich bleibe stehen. Irritiert. Dann löse auch ich mich aus meiner Starre und sehe mich weiter in der Wohnung um.

Es gibt kein Radio, keinen Fernseher. Kein Telefon. Keine Verbindung nach Draußen. Ich erschaudere. Aber … was kann ich tun? Immerhin finden sich Gesellschaftsspiele und Bücher. Ich verdrehe unwillkürlich die Augen über diesen Gedanken. Und dann höre ich meine eigene Stimme reden. „Was bleibt anderes übrig?“, frage ich mich. Als Antwort zucke ich mit den Schultern. Es stimmt schon. Ich weiß nicht, wo ich bin noch warum ich hier bin oder ob und wann ich jemals hier raus komme. Das Beste, was ich tun kann, ist mir die Zeit sinnvoll zu verbringen. Also, verhältnismäßig sinnvoll. Ich komme mir trotzdem total irre vor.

Ich schaue sehe mir die Bücher an. Krieg und Frieden, 1984. Don Quijote, Leben 2.0, Mobby Dick. Im Namen der Rose. Und eine Sammlung Shakespeares Werke. Eine kurze Geschichte der Zeit. Der kleine Prinz … immerhin scheinen es interessante Bücher zu sein. Und einige Klassiker. Ich greife nach Arthur Conan Doyles „Die Abenteuer von Sherlock Holmes“. Dann mache ich das Licht bei dem Sofa an und beginne zu lesen. Es ist zumindest sinnvoller, als Panik zu bekommen, weil ich hier eingesperrt bin. Oder wach zu liegen. Oder vor der verschlossenen Schlafzimmertüre zu warten, bis die beiden Frauen wieder heraus kommen und wir uns unterhalten können.

Nach einer Weile, die ich in das Buch vertieft verbringe, kommen die Frauen aus dem Schlafzimmer. Ich bemerke sie gar nicht richtig, bis sie ganz vorsichtig den Kopf durch die Türe stecken. Dann tue ich nur noch so, als würde ich sie nicht bemerken, kann mich aber nicht mehr auf das Buch konzentrieren. Ohne etwas zu sagen nehmen die Frauen sich ebenfalls Bücher und setzen sich zu mir. Nicole verschwindet noch mal kurz und holt sich eine Decke, in die sie sich hinein kuschelt. Dann lesen wir alle. Ohne zu reden. Einfach nur so. Ich bin erstaunt, wie gut mir das tut. Einfach zusammen sitzen. Und jeder macht was für sich. Trotzdem wäre es mir lieber, wir würden uns auch unterhalten. Aber ich habe Sorge, die beiden anzusprechen. Schließlich bin ich der Eindringling hier. Sie wollen mich nicht. Daher kann ich nicht mehr erwarten, als diese seltsamen Momente der stillen Gemeinschaft.

„Ich hätte jetzt echt Lust auf einen Kakao“, bricht Nicole schließlich das Schweigen. Elli und ich schauen ungläubig von unseren Büchern auf. „Du hast Hunger?“, fragt Elli mit großen, ungläubigen Augen. Nicole schüttelt mit einem traurigem Lachen den Kopf. „Nein. Aber … kennt ihr das nicht? Ein gutes Buch, eine Kuscheldecke und eine heiße Schokolade gehören einfach zusammen. Daran habe ich mich gerade einfach erinnert. Und dann habe ich Appetit auf eine heiße Schokolade bekommen. Einfach, weil sie dazu gehört.“ Ich lache. Und ich nicke. Elli verdreht die Augen und versteckt sich wieder hinter einem Buch. Nicole schaut mich verstohlen an. Ich erwidere ihren Blick. Es kommt mir fast so vor, als würden wir ein Geheimnis teilen. Ich überlege kurz. Dann frage ich sie, warum die beiden überhaupt hier im Wohnzimmer waren. Und nicht mehr im Schlafzimmer. Elli antwortet. Abweisend wie gewohnt. Ohne ihren Blick vom Buch zu heben. „Es ist unsere Wohnung“, raunzt sie. Mehr nicht. Nicole lächelt etwas betreten. Dann zuckt sie mit den Schultern und lehnt sich etwas zu mir. „Wir konnten nicht schlafen und kamen uns im Schlafzimmer dann doch etwas … eingesperrt vor“, erklärt sie mir halblaut. Ellis missbilligender Blick hebt sich ein Stück weit von den Seiten. Als wolle sie uns wissen lassen, dass sie jedes Wort hört. Ich muss einräumen, dass ich das durchaus nachvollziehen kann. Und ich komme mir wieder schuldig vor, weil ich der Eindringling in ihrem kleinen Leben bin. Ich wende mich wieder dem Buch zu.

So vergingen einige Tage. Naja, was heißt hier Tage? Es kam kein Licht durch die blinden Fenster und nirgends in der Wohnung ist eine Uhr. Wir haben nach wie vor keinerlei Zeitgefühl. Wir wissen nicht, wann es Tag ist und wann Nacht. Wir werden nicht hungrig und wenn wir uns zum Schlafen legen, werden wir doch nicht müde. Und trotzdem schweigen wir über die allgegenwärtige Gewissheit, dass hier irgendwas ganz und gar nicht stimmt.

Es ist eine unaussprechlich einsame Zeit. Die beiden Frauen meiden mich größtenteils. Und auch, wenn die immer wiederkehrenden Momente des gemeinsamen Lesens eine Art Waffenruhe zu sein scheinen, reden wir kaum miteinander. Wenn wir uns unterhalten, dann nur mit wenigen Worten über das Notwendigste. Und zumeist ist es Nicole, die sich mir zuwendet. Auch, wenn sie dafür meist vorwurfsvolle Blicke von Elli kassiert, die mir gegenüber nach wie vor sehr abweisend auftritt. Und immer wieder probieren wir aus, ob die Wohnungstüre vielleicht doch endlich aufgeht. Einmal, als ich es wieder probiert habe, komme ich an dem Schlafzimmer der beiden Frauen vorbei. „Du hast doch keine Ahnung, wer er überhaupt ist!“, klingt Ellis Stimme durch die geschlossene Türe. Ich bleibe stehen. „Er kann einer von denen sein, die uns hier fest halten!!“, schreit sie weiter. Mein Atem stockt. Wissen die beiden etwa, wer uns hier fest hält?! „Das Gleiche kann ich auch über dich sagen! Ich weiß nichts über dich!!“, kontert Nicole und es wird still. Ich spüre, wie es mir kalt den Rücken hinunter läuft. Ich dachte, die beiden seien Freundinnen! Was ist hier los?!

Bevor ich weiß, was ich tue, klopft meine Hand an die Türe des Schlafzimmers. Ich trete ein. Die Frauen stehen sich gegenüber. Sie funkeln sich an. Und alles an ihnen spricht von Streit. Elli verdreht die Augen und schaut mich an. „Raus!“, ist ihre herzliche Begrüßung. „Nein“, antworte ich. „Nach dem, was ich gerade gehört habe, müssen wir echt reden!“ Sie funkelt mich wütend an. „Du belauscht uns?“, faucht sie. Ich lehne mich ihr ein Stück weit entgegen. „So leise wart ihr echt nicht. Und die Wohnung ist nicht besonders groß.“ Elli schnaubt. Nicole reibt sich die Stirn. „Worüber willst du reden?“, fragt sie sichtlich genervt und angestrengt. Ich zögere. Mit fällt auf, dass ich das nicht wirklich durchdacht habe. „Wisst ihr, wer uns hier her gebracht hat?“ Die Frauen schütteln resigniert den Kopf. „Aber ihr unterstellt den jeweils anderen, dass sie was damit zu tun haben?“ Nicole errötet. Sie scheint erneut den Kopf schütteln zu wollen. Dann seufzt sie. „Wir können es halt nicht wissen.“ Sie schaut Elli an. „Elli war schon hier, als ich hier ankam. So wie du. Ich schritt durch ein grelles Licht und stand plötzlich in der Küche. Elli nahm mich nett auf, aber … ich weiß nicht.“ – „Es hat sich halt nichts verändert“, fährt Elli fort. Dann wendet sie sich mit zu. „Und dann kamst du. Nicole war kein großes Problem. Wenn sie mir hätte was antun wollen, hätte ich sie fertig gemacht.“ Nicoles Protest auf Ellis Einschätzung verhallt ungehört unter Ellis weiteren Worten: „Aber bei dir ist das anders. Ich kann dich nicht einschätzen.“ Ich nicke. „Dann bist du am längsten hier?“, frage ich sie und sie nickt. „Das wird dir nur nichts bringen, denn bei mir war das genau so wie bei euch. Ich hatte gehofft, all das lösen zu können, aber ich habe keinerlei Anhaltspunkte, was hier los ist! Und einfach so zu tun, als wäre nichts, funktioniert einfach auch nicht!“ Ich nicke wieder. Vorsichtig gehe ich einen Schritt auf sie zu. „Das macht Angst, oder?“ Elli lacht wütend auf. „Verdammt richtig!“ Ich gehe noch einen Schritt auf sie zu. Ganz, ganz vorsichtig. Ich sehe, wie sie sich sträubt. Und trotzdem weicht sie nicht zurück. „Uns geht’s genau so“, sage ich so sanft wie ich kann. Aus dem Augenwinkel sehe ich Nicole nicken. Elli kneift ihre Augen zusammen. „Ich will dir nichts tun. Wir sind alle im gleichen Boot“, fahre ich fort und bin nun nah genug, um ihr ganz vorsichtig die Hand auf den Oberarm zu legen. Sie schaut auf ihren Arm. „Ich hab‘s kapiert“, grummelt sie. „Du brauchst mich also nicht zu behandeln wie ein scheues Tier.“ Ich höre Nicole überrascht auflachen. Als wir sie anschauen zuckt sie mit den Schultern und sagt: „Ich weiß, was du meinst. Trotzdem. Er ist gut im trösten.“ Elli schaut mich misstrauisch an. Ihre Mundwinkel wandern nach rechts. Sie geht einen Schritt auf mich zu. Ich nehme sie vorsichtig in den Arm. Die Spannung in ihrem Körper ist deutlich zu spüren. Erst nach und nach entspannt sie sich. Und ihre Tränen benetzen mein Hemd.

Elli erzählt, wie einsam sie ist. Wie ratlos. Und wie machtlos. Ich stehe nur da und halte sie. Nicole kommt dazu und streichelt ihr sanft über den Rücken. Als sie sich wieder löst hat sich etwas verändert. Ich schau die beiden Frauen an und sehe, wie sich das Misstrauen ein Stück weit verändert hat. Natürlich vertrauen sie mir nach wie vor nicht wirklich. Aber sie scheinen bereit zu sein, mich in der Wohnung zu dulden.

Wir verbringen nach wie vor viel Zeit im Wohnzimmer mit Lesen. Aber die Qualität dieses Zusammenseins hat sich verändert. Hin und wieder lesen wir einander was vor. Oder wir spielen Gesellschaftsspiele. Oder wir reden darüber, wer wir sind. Was wir erlebt haben, bevor wir – warum auch immer – in dieser Wohnung gelandet sind. Leider ergibt sich auch daraus kein Hinweis, warum wir hier sind. Dennoch. Seit langer Zeit fühle ich mich nicht mehr einsam. Und zum ersten Mal seit meiner unfreiwilligen Ankunft hier stellt sich die Frage, was hier los ist, in den Hintergrund.

Ich sitze mit Elli im Wohnzimmer. Wir lesen, natürlich. Nicoles Buch liegt auf ihrer Decke, wo sie es hingelegt hat. Sie selbst ist ins Badezimmer gegangen, um die Zähne zu putzen. Sie sagt, sie braucht das. Ich kann das irgendwie verstehen. Es ist ein Stück Gewohnheit. Auf einmal erschüttert ein Schrei das Apartment. Ellie und ich schauen uns an. Kreidebleich. Ich springe auf, dem Schrei entgegen. Zu Nicole! Wo ist sie? Noch im Badezimmer? Tatsächlich. Hier steht sie. Die Zahnbürste liegt auf dem Boden neben ihr. Sie hockt nur da. Gekrümmt von Entsetzen und Schmerzen. Umgeben von Zahnpasta, Tränen und Blut. Blut? Ich spüre, wie ich noch weiter erbleiche. Und bevor ich weiß, was ich tue, stürme ich auf sie zu und nehme sie in den Arm. Ich halte sie ganz fest. „Was ist passiert?!“, frage ich und versuche die Panik in meiner Stimme runter zu schlucken. Sie hält zitternd ihr blutiges Handgelenk. Hat sie etwa … hat sie versucht sich umzubringen?! Warum? Ich dachte, wir hätten uns langsam mit unserer Situation abgefunden. Was hat sich verändert?! Sie wendet mir ihr Gesicht zu. Ihre tränennassen, haselnussbraunen Augen sind weit aufgerissen und voller Panik. „Sie … sie ist einfach aufgegangen!“, weint sie. Ich umfasse ihren Arm. Versuche, die Blutung zu stillen. Dann stocke ich. „Moment … was??!“, erwidere ich ungläubig, als ich verstanden habe, was sie gesagt hat. „Einfach aufgegangen?“, wiederhole ich ungläubig. „Wie soll das denn … “ noch bevor ich den Satz zu Ende sprechen kann, ihr erklären kann, dass Arme nicht einfach auf gehen, schreit sie auf. Pure Qualen klingen aus ihrer Stumme. Ihr anderer Arm beginnt zu bluten. Ich sehe, werde Zeuge, wie sich ihr Gelenk an der Ader einfach öffnet. Als würde ein unsichtbarer Faden die Haut aufziehen. Ich spüre, wie meine Gedanken neblig werden. Das ist doch nicht möglich! Das konnte nicht sein! Ich schaue hilfesuchend zu Elli, die regungslos und den Tränen nahe an der Türe zum Bad steht. Sie zögert. Dann dreht sie sich um und rennt weg. Ich wende mich wieder Nicole zu. Hilflos. Was zur Hölle ist hier los?!

Elli kommt zurück. Sie presst einen Erste-Hilfe-Kasten ganz eng an ihren Körper. Aber sie gibt ihn mir nicht. Sie starrt auf Nicole. Völlig gelähmt. Unfähig, die Schwelle zu übertreten. Ich kann es ihr nicht einmal verübeln. Nicole schaut auf. Tränen rennen ihre Wangen hinunter. Erst dieser Blick holt Elli aus ihrer Starre. Sie zuckt. Der Verbandskasten löst sich von ihrem Oberkörper. Sie kniet sich hin und schiebt ihn mir zu. Ich versuche ihn mit einer Hand zu öffnen, während ich mit meinen anderen Arm Nicole fest an mich drücke. Als würden ihre Schmerzen dadurch vergehen. Als er offen ist, hebe ich ganz vorsichtig Nicoles Gesicht dem Meinen zu und sage ihr, dass wir jetzt ihre Wunden verbinden. Sie nickt. Dann hält sie mir ihre blutenden Arme hin. Ich werde bleich. Ich wende mich Elli zu. „Elli, mach ein Handtuch nass, wir müssen die Wunden säubern“, weise ich sie an. Sie starrt unverändert auf Nicole. „Elli!“, wiederhole ich und ihre Starre wird durch ein durchgehendes Zucken aufgelöst. Apathisch geht sie zum Waschbecken und tut, was ich ihr auftrage. Wir tupfen das Blut ab. Legen eine mit Salbe bestrichene Kompresse auf die Wunde. Erst der eine Arm, dann der andere. Ich zwinge mich, Nicoles Arme ohne Zittern zu verbinden. Ich versuche, ruhig zu bleiben und sie dadurch zu beruhigen. Auch, wenn mir überhaupt nicht danach ist! Viel lieber würde ich schreien und weinen und mich unter der Bettdecke verstecken! Ich habe etwas gesehen, was nicht möglich ist! Und dabei wurde jemand verletzt, den ich mag. Wirklich mag. Ich stocke und sehe Nicole an. Ich mag sie wirklich. Diese Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Und in dieses seltsame Gefühl der Verletzlichkeit, der Entdecktheit, steigt eine Erinnerung empor. Verdammt! Ich weiß, wer sie ist! „Du bist Nicky!“, rufe ich, bevor ich weiß, was ich tue … oder was das wirklich bedeutet. Nicole zuckt unter diesen Worten zusammen und schaut mich entsetzt an. „Was?!“ Ich halte ihren Blick. „Du bist seine Nicky! Adrian! Er ist dein Freund!“

Bei dem Namen meines Bruders erweitern sich Nicoles Augen noch mehr. Panik schleicht sich in ihren Blick. Und eine Erinnerung. Ich sehe, wie eine schreckliche Erinnerung sich den Weg durch ihren Kopf bahnt, bis in ihre haselnussbraunen Augen mit den blauen Sprenkeln. Sie bricht den Blickkontakt zu mir ab. Und ruckartig zieht sie ihre Arme fest an ihren Körper. Die Mullbinde, die ich ihr gerade angelegt hatte, baumelt in dieser plötzlichen Bewegung nach. Vollkommen lautlos. Still. Alles ist still. Ich beobachte Nicole. Nicky. Adrians Nicky. Warum hat sie das so verletzt?

„Nein“, flüstert sie schließlich. „Er ist nicht mein Freund. Er hat mich verlassen.“ Dann schaut sie mir direkt ins Gesicht. Ihr Blick ist kalt und einsam und so unbeschreiblich verletzt. Und mit einer tiefen Bitterkeit in ihrer Stimme fährt sie fort: „Darum habe ich mich umgebracht!“

Nach dieser Offenbarung wird Nicole still. Ihre haselnussbraunen Augen mit den blauen Sprenkeln wenden sich nach Innen. Sie schaut mich nicht mehr an. Sie steht auf. Sie schaut auf ihren unfertig verbundenen Arm. Sie versucht ihn sich selbst fertig zu binden. Als ich ihr helfen will, wendet sie sich von mir ab. Elli reicht ihr die Hände. Ohne die Schwelle zum Badezimmer zu überschreiten. Nicole lässt sich von ihr den Arm fertig verbinden. Dann gehen sie raus aus dem Zimmer. Nach kurzer Zeit höre ich die Türe vom Schlafzimmer ins Schloss fallen. Und ich fühle mich wieder unbeschreiblich einsam. Hier. Allein auf dem blutverschmierten Boden des Badezimmers. Ich seufzte. Ich versuche, irgendwie das Chaos in meinem Kopf zu sortieren. Was ist da gerade passiert? Was … ich … Tränen zerplatzen auf den Fliesen. Es sind meine. Ich sacke noch tiefer in mich zusammen. Was soll ich nur tun?

Ich tue erstmal gar nichts. Ich bleibe auf diesem kalten, blutverschmierten Fliesenboden sitzen und weine. Den Kopf tief in die Hände vergraben. Ich bin völlig überfordert. Schließlich, als ich mich endlich ausgeweint habe, rutsche ich zurück und lehne mich gegen die Wand. Ein tiefer Seufzer durchzieht den sonst stillen Raum. Es ist mein Seufzer. In was für eine absurde Situation habe ich mich nur gebracht. „David … du sitzt echt in der Scheiße!“, füllt meine Stimme den Raum. Und irgendwie versuche ich ein weiteres Mal, Ordnung in all die Geschehnisse der letzten Zeit zu bringen. Ich habe mich in die Freundin meines Bruders verliebt! Das ist das erste, was mir einfällt. Und bei dem Gedanken fühle ich mich wie ein geprügelter Hund. Mein Bruder, Adrian, war immer der Stolz der Familie. Charmant, erfolgreich, intelligent. Er schloss seine Ausbildung zum Chirurg mit Bravour ab und ist immer das helle Licht, mit dem ich geblendet werde. Was ich hingegen geleistet und auf die Beine gestellt hatte, war vollkommen nebensächlich. Immer ging es nur um ihn. Warum kannst du nicht so sein wie Adrian. Sieh mal, Adrian hat schon dies und das. Adrian kann jenes. Adrian ist schon verlobt. Warum kannst du keine … verlobt … Nicole. Meine Nic … nein, seine Nicole. Seine Nicky. Ich hatte nie wirklich viel Zeit mit Nicole verbracht … also, vorher. Bevor wir … hier waren, wo auch immer das ist. Ich habe sie auf der Verlobungsfeier meines Bruders gesehen, sicher. Aber ich erinnere mich nicht wirklich an sie. Ja, sie sah toll aus und wirkte vornehm und kultiviert. Und sie war außerhalb meiner Liga. Das ließen sie mich alle zu Genüge spüren. Ich versuche mich zu erinnern, ob sie glücklich gewirkt hatte, auf der Feier. Aber ich kann es nicht mehr sagen. Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich. Aber muss sie wohl. Schließlich war sie mit Adrian zusammen. Dem Adrian. Ich spüre ein spöttisches Lachen aus mir herausbrechen. Dann seufze ich wieder. Naja. Wenn sie mit meinem Bruder zusammen ist, habe ich ohnehin keine Chance. Auch, wenn er sie verlassen hat, bleibt sie tabu … warum er sie wohl verlassen hat? Und warum … plötzlich erstarre ich. Erst jetzt sacken Nicoles Worte wirklich tief in mich ein. „Darum habe ich mich umgebracht.“ … aber … warum ist sie dann hier??!! Warum ist sie dann lebendig?? Oder … ist sie gar nicht lebendig? Aber … heißt das, dass Elli und ich ….

Elli reißt mich aus dem Gedanken. Sie steht in der Türe. Sie blickt auf das Blut. Ich blicke auf sie. Endlich reißt sie den Blick von der riesen, roten Lache los und räuspert sich. „Nicole will mir dir sprechen“, lässt sie mich tonlos wissen. Dann dreht sie sich um und geht. Flüchtet geradezu. Und ich kann es so gut verstehen. Ich seufze und rappel mich auf. Gehe zu ihr … zu seiner Nicky …

Es ist das erste Mal, dass ich das Schlafzimmer von Innen sehe. Ein großes, gusseisernes Bett steht unter dem blinden Fenster. Ansonsten ist alles eher schlicht gehalten. Ein Schrank, ein Schreibtisch. Ein Regal. Nicole sitzt auf dem Bett. Die verbundenen Arme neben sich tief in die weiche Matratze gestammt. Die Matratze biegt sich unter Nicoles Körper. Schmiegt sich an. Nicole ist in sich zusammen gesunken. Den Blick nach unten gerichtet. Sie sieht so verloren aus. Und ich will sie trösten. Aber ich rühre mich nicht vom Fleck. Sie seufzt. Ihre Arme entspannen sich, was ihre Schultern ruckartig absacken lässt. Sie blickt mich an. Ihre Augen sind rot und verquollen. Ich merke, wie uns beiden die Tränen wieder in die Augen steigen. Ihr Kopf zuckt und weist mich an, mich neben sie zu setzen. Ich komme mir ziemlich verloren vor, neben ihr. So sitzen wir eine Weile. Beide vollkommen einsam. Es fühlt sich sehr, sehr seltsam an. Und ich bin dankbar, als sie schließlich ihren Kopf an meine Schulter legt. „Was ist das Letzte, woran dich erinnerst?“, fragt sie mich. Eine Erinnerung steigt in mir hinauf und ich schlucke. Ich zucke mit den Schultern. Sie schaut mich an. Ich wende den Blick von ihr ab. „Die letzte Erinnerung, an dein Leben, meine ich“, beharrt sie. Nun schaue ich sie doch an. „Du meinst, wir sind tot?“, frage ich ungläubig. Nun zuckt sie mit den Schultern. „Irgendwie sowas, ja. Ich meine … Ellis letzte Erinnerung sind die hellen Lichter eines Autos. Und meine …“ sie hebt einen ihrer verbundenen Arme ein Stück weit und lässt ihn wieder auf ihren Schoß plumpsen. „Naja, du weißt schon …“ Wir schweigen eine Weile betreten. Sie lehnt weiter auf meiner Schulter. Ich lege meinen Arm um sie. So sitzen wir erstmal da.

„Woher kennst du Adrian“, fragt sie schließlich und ein Stich geht mir durchs Herz. Scheinbar hatte ich wirklich überhaupt keinen Eindruck bei ihr hinterlassen. Naja, wir haben uns ja auch nicht oft gesehen … und ob wir einander wirklich vorgestellt wurden, weiß ich schon gar nicht mehr. Außerdem ist es ja lange her. Ich weiß mich zusammen. „Familie“, nuschel ich kaum hörbar und nebenbei. Ich spüre, wie ihre Augen sich ungläubig weiten. Sie löst sich von meiner Schulter und schaut mich fassungslos an. Dann dreht sie mein Gesicht dem ihren zu und mustert mich eindringlich. „Du bist sein Bruder!“, platzt es aus ihr hervor. „Der niedliche Bruder, der mich auf irgendeiner Feier von ihm so völlig ignoriert hat!“ Nun schau ich sie fassungslos an. Niedlich?! Ignoriert?! Aber alles, was meinem Mund entwischt ist ein sehr, sehr dummes: „Das war deine Verlobung!“

Nicole fällt alles aus dem Gesicht, als sie das hört. Sie reibt sich die Stirn. „Ja … da war ja was …“, murmelt sie schließlich. „Ich verstehe auch nicht, warum er dich verlassen haben sollte“, schieße ich weiterhin eine Salve dummer Sätze in ihre Richtung. Sie lacht bitter auf. „Ich ja auch nicht! Er war mein Alles! Und dann halt nicht mehr! Dann war er weg.“ – „Aber er hat sich solche Sorgen gemacht, als du … also … als …“ – „Als ich mich umgebracht habe“, beendet sie meinen Satz mit einer kalten Miene. Ich nicke verschämt. Dann seufze ich. „Er hat es mir erzählt“, flüstere ich. Und ich erzähle ihr von meiner letzten Erinnerung.

Ich erzähle ihr, wie aufgelöst mein Bruder war, weil sie einfach verschwunden schien. Vom Erdboden verschluckt. Und wie er mich eingeladen hatte, zu sich nach Hause. Als seinen Bruder. Wir aßen und er hatte erzählt, wie besorgt er war. Dass er Angst hätte, sie niemals wieder zu sehen. Und wie sehr er sie vermissen würde. „Sonst erinnere ich mich nicht an viel. Wenn wir wirklich tot sind, wird wohl irgendwas auf dem Heimweg passiert sein“, schließe ich den Bericht. „Keine Ahnung … Glaubst du wirklich … das wir tot sind?“ Nicole zuckt mit den Schultern. „Hast du eine andere Erklärung?“

Nachdem Elli, Nicole und ich erkannt hatten, dass wir tot sind, zog überraschend schnell wieder eine Form des Alltages in unsere zeitlosen Tage. Bücher, Spiele. Hier und da ein bisschen Reden. Geschichten, aus unseren viel zu früh beendeten Leben. Und immer schwebe über uns die unausgesprochene Frage, wie lange wir jetzt noch hier bleiben würden. War das schon der Tod? Oder nur der Limbus? Ich meine … auch, wenn ich mir das Fegefeuer anders vorgestellt hätte … schön ist das hier sicherlich nicht.

Wie so oft sitzen wir im Wohnzimmer und lesen unsere Bücher. Ich hatte mir dieses Mal „Das kunstseidende Mädchen“ gegriffen. Nicht die leichteste Lektüre. Vor allem, wenn man immer wieder davon abgelenkt wurde, weil man jemand anderen beobachtete. Ich betrachtete sie verstohlen. Ob ich wohl eine Chance bei ihr hätte? Jetzt? Hier? Ohne meinen Bruder? Im Tod? Sie ist in ihr Buch vertieft. „Der kleine Prinz“. Immer wieder huschte ein leises Lächeln über ihre feinen Lippen. Von meinen Blicken bemerkte sie nichts. Oder? Sie sieht auf. Ganz plötzlich. Gezielt in mein Gesicht. Mir läuft es heiß und kalt den Rücken herunter. Sie weiß es!, schießt mir durch den Kopf! Sie weiß, dass ich sie beobachtet habe! Ob sie auch weiß, was ich gedacht habe? Sie lächelt. Ich lächle zurück. Und hoffe, dass es nicht allzu gequält wirkt. Da erstarrt ihr Blick, wandelt sich in völlige Fassungslosigkeit. Und noch bevor ich weiß, was passiert ist, höre ich neben mir ein Keuchen. Es kommt aus Ellis Richtung. Und wie zur Bestätigung japps Nicole: „Elli?“ Ihre Stimme überschlägt sich fast vor Angst. Sie steht auf, will zu ihrer Freundin und ist doch unfähig zu ihr zu gelangen. „Elli!“, ruft sie noch schriller. Ich löse meinen Blick von ihr und wende mich Elli zu, die auf dem Sessel neben mir sitzt. Ich erschaudere. Elli zittert, kann sich kaum noch auf dem Sessel halten. Ihre Augen sind so weit nach hinten gedreht, dass nur noch das Weiß zu sehen ist. Ich sprinte zu ihr, lege meine kühle Hand auf ihre Stirn, in der Hoffnung, sie so zu beruhigen. Aber sie zittert nur weiter. „Elli“, sage ich in einer möglichst tiefen, sicheren Stimme. Aber wieder ist mir nach so ziemlich allem anderen als danach, ruhig zu bleiben. Elli reagiert nicht. Nicole hockt neben mir. Ihre Hände vor den Mund geschlagen betrachtet sie fassungslos ihre Freundin. Und ich spüre ihre Erwartung, dass ich ihr doch helfen muss. Aber wie? Elli jappst weiter. Ich kratze all mein medizinisches Wissen zusammen. Aber sie hat nichts im Hals stecken und davon, dass sie Anfälle hat, weiß ich auch nichts … davon ganz abgesehen sind wir tot! Da sollte man keine Anfälle mehr haben! „Mama!“, jappst Elli plötzlich. „Mama, Papa, nein!“ – „Elli! Wovon redest du! Wir sind es! Nicky und David! Hörst du uns?!“ Elli stöhnt. „Bitte, nein, nicht! Ich wache wieder auf! Bitte, gebt mir noch ein bisschen mehr Zeit! Ich schaffe das! Gebt mich nicht auf, bitte. Bitte! Mama! Papa! Bitte!! Ich bin noch da!! Bitte!!“ Nicole und ich schauen uns an. Fassungslos. Alles an uns erschaudert. Wovon spricht sie? Auf einmal beginnt das gesamte Apartment zu brummen. Ich weiß nicht, ob dieses Brummen meine Ohren oder meinen Bauch zusammenpresst. Und immer wieder gibt es dieses unerträgliche, schrille Pipen. Ich greife nach Nicoles Hand, drücke die andere auf meine Ohren. Nicole erwidert meinen Griff. Da wandelt sich das Brummen in eine tiefe durchdringende Stimme. „Gibt es denn wirklich keine Möglichkeit, dass sie wieder aufwacht, Doktor?“, tönt es. Ein Mann. Ein anderer Antwortet. Begleitet von einem Rascheln, als würde jemand mit einem hohen Kragen seinen Kopf schütteln. „Leider nicht, Mr Allister. Die Gehirnfunktionen ihrer Tochter haben sich über die letzten Wochen nicht verbessert. Sie jetzt noch künstlich am Leben zu erhalten wird nichts an ihrer Situation ändern. Sie wird nicht mehr aufwachen.“ Das Weinen einer Frau. Mehr Rascheln. Elli wimmert. „Bitte“, fleht sie immer wieder. Aber mittlerweile ist es mehr ein Flüstern als ein Rufen. „gebt mich noch nicht auf.“ Ein Grunzen. Es erinnert mich für einen Sekundenbruchteil an meinen Vater. So klang er, wenn er einer Sache zugestimmt hat, die er eigentlich nicht wollte. Die Frauenstimme weint noch heftiger. Und immer wieder wimmert Elli ihr flehendes Bitten. Dann hört das unerträgliche Pipen auf. Elli zuckt noch ein paar Mal. Dann entspannt sich ihr Körper. Ihre Augen rollen zurück in die normale Position. Und sie schaut uns an. Unendlich traurig. Und unendlich frei. „Lebt wohl“, flüstert sie. Dann löst sie sich langsam in Licht auf. Flimmert kurz. Dann verlischt sie. Und ist fort.

Nicole und ich schauen vollkommen fassungslos auf den leeren Sessel. Den Sessel, auf dem vor wenigen Minuten noch Elli gesessen hatte. Eine etwas eigenwillige aber sehr gütige Frau. Ich spüre den nassen Film auf meinen Wangen und mir fällt auf, dass mein Gesicht tränennass ist. Nicole ist es, die mich zurück in die Wirklichkeit holt … wenn man das überhaupt so nennen kann. Sie drückt meine Hand, die noch immer die ihre fest umklammert hat. Ich wende mich ihr zu. Ihr Kopf hängt und ihre karamellbraunen Haare verdecken jegliche Gesichtszüge. Sie sieht so schrecklich einsam aus. Ich umarme sie, halte sie ganz fest, stehe ihr bei. Unter meiner Berührung schluchzt und bebt ihr Körper. Sie weint bitterlich um ihre Freundin. Und ich kann nichts tun, um sie zu trösten.

Als sie sich schließlich ausgeweint hat, erschlafft ihr Körper in meinen Armen. Ich halte sie fest. So lange sie es braucht. Schließlich aber schnieft sie ein letztes Mal, fährt mit ihrem Handrücken über ihre Nase und schaut mich mit ihren tränenroten Augen an. Sie zuckt mit den Schultern. „Sieht so aus, als seien wir doch noch nicht tot“, murmelt sie schließlich. Ein überraschtes Lächeln huscht über meine Lippen. Meine tapfere, starke Nicole. Und bevor ich weiß, was ich tue, ziehe ich Nicole an mich und drücke ihr einen festen, warmen Kuss auf die Stirn. Ich liebe sie.

Als sich meine Lippen von ihrer Stirn lösen, schaut Nicole etwas bedröppelt. Ich schaue verlegen zurück. Plötzlich lehnt sie sich in einer fließenden Bewegung zu mir und küsst mich. Hingebungsvoll, lockend. Leidenschaftlich. Ich erwidere ihren Kuss, spüre, wie meine Gedanken neblig werden. Nur leise klingt eine Stimme in meinem Kopf, die mich davor warnt, dass ich nicht gemeint bin. Aber ihr Duft steigt mir in die Nase und macht mich zu einem Zuschauer, während mein Körper vollkommen selbstständig aggiert. Meine Hand greift entschlossen und sanft an ihren Hals. Dabei streichen ihre weichen Haare über meine Haut. Sie kniet mich hin, zieht mich an ihren Lippen empor zu ihr, und greift grob an mein Hemd. Zerrt daran, als würde es dadurch verschwinden. Die Stimme in meinem Kopf schreit auf. Laut. Schrill. Ich greife ihren verführerischen Körper an den schmalen Schultern und drücke sie von mir fort. Sie schaut mich an. Ihre haselnussbraunen Augen verschlingen mich. Alles an mir will ihr nachgeben. Und dennoch frage ich die zerstörerische Frage: „Willst du das wirklich?“

Nicoles Augen flimmern. Ihr Blick richtet sich nach innen. Dann sieht sie mich wieder an. „Du nicht?“, fragt sie zurück. Ich komme mir vor, als würde ich schmelzen. Und dennoch halte ich sie von mir fern. „Mehr als alles“, hauche ich sehnsuchtsvoll. Sie nimmt meine Hand sanft von ihrer Schulter und führt sie zu ihrem Mund. Sie drückt einen warmen, sanften Kuss auf meine Handinnenfläche. Ich spüre, wie eine Woge der Begierde mich zu überschwemmen droht. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Ich will sie! So unbedingt! Sie schaut mich mit einem tiefen Blick an. Traurigkeit schimmert hindurch. Aber auch die Entschlossenheit zu leben, so lange wir es noch können. „Dann genieß es“, haucht sie. Und ich lasse alle Zurückhaltung gehen. Ich drücke ihren weichen Körper ganz eng an mich, lasse sie spüren, wie sehr ich sie will. Ich fahre mit meinen Händen unter ihr Oberteil und spüre die warme, zarte Haut ihres makellosen Rücken. Unsere Küsse werden immer heißer, immer dringlicher, als sie sich von mir löst und ihre Arme empor hebt. Meine Hände ziehen ihr Oberteil über ihren Kopf und entblößen ihre schönen Brüste. Ich beuge mich zu ihnen hinab und liebkose sie. Nicole seufzt genussvoll unter meiner Berührung. Ich löse ihren Bh und entdecke die ganze Pracht dieser wunderschönen Brüste. Die vor Lust harten Nippel, die sanften Rundungen. Sie berührt meinen Hals, fährt von oben in mein Hemd, streichelt über meinen Rücken. Dann sieht sie auch mir das Oberteil aus. Mit der Ungestühmheit der dringenden Begierde. Als sie es in den Händen hält, lehnt sie sich kurz zurück und betrachtet mich. Sie lächelt sinnierend. Dann scheißt sie das Hemd weg und stürzt mir entgegen. Ich lasse mich von ihrem Schwung mitreißen. Wir sinken auf den Boden. Ich fahre immer und immer wieder über ihre Haut, gehe immer tiefer, erkunde und entdecke sie, genieße ihre Berührung, zerfließe. Und immer wieder küssen wir uns. Überall hin. Und vergehen in einem Meer von Lust.

Wir haben miteinander geschlafen, Nicole und ich. Einfach so. Direkt im Wohnzimmer auf dem Boden. Da wo wir waren, so wie wir waren. Irgendwann haben wir eine Wolldecke von dem Sofa geangelt, die nun auf uns liegt. Nicole drückt sich ganz eng an meine Seite, streift mir sanft über die Brust. Ich derweil lächle sie an und fahre ihr durch ihr weiches, karamellbraunes Haar. In mir steigt die Frage empor, wie es nun weiter gehen soll. Aber ich möchte den Moment nicht zerstören. Und überhaupt … was soll das in unserer Situation überhaupt bedeuten? Sie blickt mich irritiert an. „Was ist das?“, fragt sie und ich versuche meinen Halt zu recken, um zu entdecken, was sie wohl ungewöhnliches auf meiner Brust gefunden hat. Sie verdreht die Augen. „Kannst du das nicht hören?“, spezifiziert sie ihre Nachfrage. Als ich lausche höre ich tatsächlich ein Murmeln. Ich strenge mich an, aber ich kann nicht wirklich was verstehen. „Was ist das?“, frage nun auch ich und erst dann fällt mir auf, dass sie ja die gleiche Frage gestellt hatte. Sie aber legt den Finger auf die Lippen und lauscht angestrengt. Plötzlich reißt sie ihre Augen auf. „Das ist Adrian!“, ruft sie erstaunt aus. Ich schau sie irritiert an. „Adrian?! Was sagt er?“ Nicole lauscht weiter. Ich versuche auch zu lauschen, aber höre nicht viel mehr als Murmeln. Nicole aber scheint etwas zu verstehen, denn ihr Gesicht erzählt eine wundersame Geschichte. Ihr Blick beginnt irritiert und besorgt, wandelt sich dann in einen warmen Ausdruck, ein Lächeln gar. Dann aber wird er immer ungläubiger, immer fassungsloser. Und ihre wunderschönen, haselnussbrauen Augen füllen sich nach und nach mit feuchten Tränen. Ihr Hals reckt sich immer höher, als würde ihr das dabei helfen, die gemurmelten Worte zu verstehen. Ich beobachte dieses Mienenschauspiel gleichermaßen fasziniert und besorgt. Und dann zieht sie plötzlich ruckartig ihre Hand zu sich, schreit. Als hätte sie sich die Hand verbrannt. Die Tränen rennen nun unhaltbar über ihr bleiches Gesicht. Eine Türe knallt. Stille. Das Murmeln ist weg. Alles, was an dieses seltsame Erleben erinnert, ist Nicole, die weinend an den Sessel gekauert sitzt. Nackt. Das Gesicht hinter ihren Armen verborgen. Die Beine angezogen. Und die einst schneeweißen Verbände an ihren Unteramen tönen sich nach und nach blutrot.

Ich rappel mich hoch, nehme die Decke und lege sie schützend um das zitternde, wimmernde Bündel, zu dem Nicole geworden ist. Ich versuche sie warm zu halten. Zu beschützen. Und doch ist mir klar, wie sehr ich die ganze Zeit schon darin versage. Ich konnte sie nicht davor beschützen, dass mein Bruder sie verlassen hat. Ich konnte sie nicht davor beschützen, dass sie hier her gekommen ist. Ich konnte sie nicht vor ihren Wunden beschützen noch davor, dass sie Ellis Verschwinden mitansehen musste. Ich konnte sie nicht vor dem Murmeln beschützen und so kann ich es auch jetzt nicht. Alles, was mir bleibt, ist der verzweifelte Versuch, es dennoch zu probieren. Wieder und wieder. In der vagen Hoffnung, dass es vielleicht doch hilfreich ist. Wenigstens ein kleines Bisschen. Nicole schaut mich an. Ihre Augen rot vom Weinen. „Hast du wirklich nichts gehört?“, haucht sie. Mein Herz zieht sich zusammen. Ich schüttel den Kopf. Ein kleines bisschen nur. Nicole presst ihre Lippen aufeinander. Dann schlägt sie ihren Blick nieder und nickt. „Er hat gesagt, dass ich zurück kommen soll.“, erzählt sie heiser. „Zunächst hat mich das gefreut, weil ich dachte … ich dachte …“ Tränen steigen wieder in ihre Augen. Sie schüttelt den Kopf, als würde sie dieses Gefühl abschütteln wollen. „Ich dachte, es könnte wieder so werden wie vorher“, schließt sie dann. „Aber ich bin mit gar nicht mehr so sicher, ob das damals wirklich so gut war. Und dann … dann hat er meine Hand genommen.“ Sie hebt ihre Hand, die sie gerade noch schützend an sich gepresst hatte. Sie schaut sie an. Befremdlich. Als wäre das gar nicht ihre Hand. Als wäre das alles gar nicht real. Aber … wer weiß das schon? Vermutlich ist das auch alles gar nicht real. „Ich habe seine Berührung gespürt“, erzählt Nicole weiter. Starrt weiter auf ihre Hand. „Es hat sich schrecklich angefühlt. Als würde ich in Säure fassen.“ Sie schaut mich an. Ihr Blick ist völlig entrückt. Ganz weit fort. Die Tränen sind fort. Alles ist fort. Nicht ein Gefühl ist mehr in ihrem Gesicht zu erkennen. „Und dann hat er gesagt, dass er dafür sorgen wird, dass ich ihn niemals wieder verlassen werde … und es klang wie eine Drohung.“

Nicole und ich verbringen die nächste Zeit damit, zu lauschen. Wann immer die Luft verdächtige Geräusche mit sich trägt. Türen, die sich öffnen. Schritte. Murmeln. Worte. So finden wir heraus, dass wir im Krankenhaus liegen. Im Koma. Zumindest nehmen wir das an. Denn keine der Stimmen hat es wirklich ausgesprochen. Aber die Schnippsel an Eindrücken sprechen dafür. Vermutlich liegen wir sogar im selben Zimmer. Denn wir hören die Türen, die Schritte und die lauten Stimmen beide zeitgleich. Manchmal bekommt einer von uns Besuch. Meistens ist es Nicole, deren Eltern an ihrem Bett stehen. Dann höre ich zumeist nicht mehr als ein Murmeln. Außer, wenn ihr Vater da ist. Der senkt seine Stimme nicht und ich verstehe jedes Wort. Wenn ich Besuch bekomme, dann hört sie nicht mehr als ein Murmeln. Aber das kommt nicht wirklich oft vor. Nach den Besuchen schweigen wir immer betreten. Wir sind hier. In diesem grausamen Scherz einer Koma-Traumwelt. Unfähig, uns mitzuteilen. Unfähig, zu leben. Und wir warten auf den Moment, da sie auch bei uns die Geräte ausschalten, die uns noch am Leben halten. So, wie sie es bei Elli getan haben. Und dann … werden wir verschwinden.

Wir sind uns näher gekommen, über diese Zeit. Nicht nur körperlich. Uns verbindet eine Erfahrung, die kein anderer auf der Welt nachvollziehen kann. Und während ich sie bedingungslos liebe, gelingt es auch Nicole, ihr Herz nach und nach für mich zu öffnen. Irgendwann kommen auch mehr und mehr Erinnerungen zurück. So erinnert sich Nicole daran, wie sie heraus gefunden hatte, das mein Bruder sie betrügt. Obwohl sie ein Paar waren. Obwohl sie verlobt waren. Er vögelte sich durch die Gegend. Und als Nicole ihn damit konfrontieren wollte, habe er nur gelacht. Gelacht und mit den Schultern gezuckt. „Was willst du tun?“, habe er gefragt. Und da sie keinen Ausweg sah, hatte sie versucht sich umzubringen. „Damals war ich so dumm …“, erklärt sie. „Ich hatte geglaubt, dass er alles ist, was ich im Leben brauche. Und zu wissen, dass ich für ihn nur Eine von Vielen bin, brach mir das Herz. Ich glaubte, ich könnte nicht ohne ihn sein. Oh, wie sehr ich das bereuehe!“

Die Türe öffnet sich. Schritte. Nicole und ich drücken uns aneinander. Ahnungslos, was nun wieder geschehen wird. Und doch unfähig, diese einzige Verbindung nach Außen zu ignorieren. „Ah … Brüderchen“, hallt Adrians Stimme durch den Raum. Nicole und ich schauen uns fassungslos an. Er ist wegen mir hier!

Ein Stuhl wird quietschend über den Boden gezogen. Rascheln. Ich höre seine tiefe Stimme, als er leise zu mir spricht. Nicole schüttet den Kopf. Sie hört ihn nicht. Ich aber … ich habe beinahe das Gefühl, seinen warmen Atem auf meiner Wange zu spüren. In mir kocht eine unerklärliche Wut hoch. Verachtung. Hass. Das erschreckt mich. Adrian ist doch mein Bruder. Und er hat nicht wirklich was Böses gemacht. Er hat nur die Liebe meines Lebens betrogen, verletzt und bedroht. Wie schimm das auch ist, so hat es nicht wirklich was mit mir zu tun. Dennoch scheint mir der flammende Hass in mir etwas tief persönliches zwischen uns zu sein. „Wie läuft es, Brüderchen?“, raunt er mir zu. „Wann schickst du sie endlich zurück?“

Ich erinnere mich! Es ist, als sprünge eine bislang gut verschlossene Kiste einfach auf. Ich erinnere mich an diesen letzten Abend! Und ich erinnere mich, warum ich im Koma liege! Es ist seine Schuld!

Er hatte mich eingeladen. Kurz, nachdem seine geliebte Verlobte verschwunden war, hatte er mich eingeladen. Zum Essen. Bei sich in der Wohnung. Er hatte gesülzt, wie sehr er sie liebte und vermisse. Alles gelogen! Zu diesem Zeitpunkt war Nicole bereits längst gefunden und ins Krankenhaus gebracht worden. In das Krankenhaus, in dem er arbeitete. Er wusste, dass sie versucht hatte, sich umzubringen. Er wusste, dass sie im Koma lag. Das war mir jetzt klar. Aber damals … damals glaubte ich ihm. Und weil er mein großer Bruder war, zu dem ich aufschaute, obwohl er mir stets vorgezogen wurde, sprach ich ihm mein Mitgefühl aus. Weil ich ihm glaubte. Weil er mein Bruder war. Und ich versprach ihm, zu helfen. Ich versprach ihm, dass ich tun würde, was immer in meiner Macht stand. Und ich versprach ihm, dass ich seine Verlobte finden und zu ihm zurückholen würde. Egal, von wo. Ich wollte alles für ihn tun. Für meinen großen Bruder. Der mich brauchte. Zum ersten Mal in seinem Leben. Ich war entschlossen, ihn nicht zu enttäuschen. Er lächelte. Charmant. Süffisant. Und wenn ich mich jetzt daran erinnere, mit kalten Augen. Dann trug er den Nachtisch auf.

Nach den ersten Bissen wurde mir schwummrig. Ich blickte ihn irritiert an. Er saß mir gegenüber. Den Kopf auf die Hände gestützt. Der Nachtisch unangetastet. „Nun“, sagte er mit einem kalten Lächeln. „Das Problem ist, dass sie zwar leicht zu finden, aber schwer zurückzubringen ist“, erklärte er. Langsam stand er auf, ging auf mich zu. „Aber zum Glück gibt es Studien, dass Komapatienten miteinander kommunizieren können.“ Er zog meinen Kopf an meinen Haaren nach hinten, sodass ich ihn anschaute. Ich atmete schwer, kämpfte um jeden Moment des Bewusstseins. Er kam mir ganz nah. Ich roch den Wein auf seinem Atem. Sein Blick wirkte seltsam fremd. „Bring sie mir zurück! Sie gehört mir!“ Dann wurde es schwarz.

Ich schrecke aus der Erinnerung hoch. Nicole sieht sehr beunruhigt aus. Ich spüre die Wut in mir brennen. Dann lächel ich. „Lass mich mal was ausprobieren …“, sage ich. Dann schaue ich konzentriert auf meine Hand. Ich bewege ganz bewusst und angestrengt meine Finger, ziehe vier davon zur Innenfläche meiner Hand. Den Mittelfinger aber halte ich gerade. Ich spüre, dass mein Körper draußen dieser Bewegung folgt. Plötzlich knallt der Stuhl. Nicole zuckt zusammen vor schreck. Das „Du verdammtes Arschloch!“ das mein Bruder schreit, kann auch sie hören. Ich kichere. Dann aber raunt er mir wütend zu: „Das wirst du noch bereuen!“

„Was war das?!“, fragt Nicole entsetzt und ich halte meinen ausgestreckten Mittelfinger hoch. „Scheinbar hat mein echter Körper das auch ganz gut hin bekommen“, kichere ich. Als ich ihren befremdlichen Blick sehe seufzte ich. Dann erzähle ich ihr alles. Ich erzähle ihr, wie mein Bruder mich mit seinem ärztlichen Wissen ins künstliche Koma versetzt hat. Das ich so hier her kam. Und dass ich geschickt bin, um sie zu ihm zurück zu holen. „Aber woher konnte er wissen, dass wir uns treffen?“, fragt Nicole irritiert. Ich zucke mit den Schultern. Dann aber erinnere ich mich an etwas. „Da war eine Geschichte …“, beginne ich zögerlich. Und dann ist alles wieder klar. Ich erinnere mich an die Geschichte, die unser Großvater uns erzählt hatte. „Als wir noch sehr jung waren fiel unsere Großmutter ins Koma“, erkläre ich Nicole. „Adrian liebte sie abgöttisch und war besorgt, dass sie einsam war. Unser Großvater erzählte ihm dann immer, dass sie noch alles hören würde und mitbekäme. Und dass sie ja auch abends nicht einsam sei, weil der andere Komapatient, der mit ihr das Zimmer teilte, ihr in ihren Träumen Gesellschaft leistete. Als sie dann wieder aufwachte, bestätigte sie seine Geschichte. Aber ich weiß nicht, ob das wirklich gestimmt hat. Bei Adrian scheint es allerdings einen ziemlichen Eindruck hinterlassen zu haben, denn kurz darauf nahm er sich vor, Arzt zu werden.“ Nicole nickt. „Das hat er ja dann auch geschafft.“, bestätigt sie. Dann überlegt sie kurz und fragt: „Ist das der Grund, warum er sich auf Komabehandlung spezialisiert hat?“ Ich zucke mit den Schultern. „So im Nachhinein betrachtet macht das irgendwie schon Sinn. Er hat auch die Gehirnströme vieler Komapatienten gemessen und sie nach dem eventuellen Aufwachen befragt. Zumindest haben das meine Eltern in einigen der dutzenden Lobreden auf ihn erwähnt.“ Nicole schippst. „Ja! Ich erinnere mich wie sehr er sich gefreut hatte, dass die Messungen zweiter Patienten eine Angleichung der Hirnströme zeigte. Aber das bewies nicht wirklich was.“ Plötzlich zögert Nicole. Sie schaut mich an. Tiefe Traurigkeit in ihrem Blick. Mitgefühl. „Dass ihm das gereicht hat, um auf gut Glück seinen eigenen Bruder ins Koma zu versetzen … eine Geschichte und ein paar Messungen …“ Wir schweigen betreten.

Ich bin in Gedanken. Sie ist in Gedanken. Nach einer Weile greift Nicole meine Hand. „Und jetzt?“, fragt sie. Ich zögere. Ich erinnere mich an die Drohung meines Bruders. „Das wirst du noch bereuen“ … Ich zwinge mich zum Lächeln. „Genießen wir es, so lange es geht“, antworte ich schließlich. Nicole drückt sich an mich. „Wie lange das wohl noch sein wird …“, murmelt sie dann. Ich schließe meine Augen. Ich atme ihren Duft ein. Und seufzte.

Irgendwann ziehen Nicole und ich uns ins Schlafzimmer zurück, legen uns auf das große, gusseiserne Bett. Ich lege mich hinter sie, drücke mich zärtlich an ihren Rücken. Ich spüre ihren warmen, weichen Körper ganz nah an meinem. Ihr süßer Duft streichelt meine Sinne. Ich drücke sie noch fester an mich heran. Ihr Atem geht langsam und gleichmäßig. Sie bewegt sich nicht. Und ihr Gesicht ist mir abgewandt. Ich kann nichts darin lesen. „Willst du hier bleiben?“, höre ich sie schließlich murmeln. „Hm?“, erwidere ich abgelenkt. Ich höre sie traurig lächeln. „Ob du hier bleiben willst? Wo auch immer das ist.“ Eine leise Sorge steigt in mir auf. Ich drücke es weg. Zwinge mich zum Lächeln. Ich zuckte mit den Schultern. „Es ist nicht so schlimm. Wir haben unsere Ruhe, einander und keinerlei Geldsorgen“ Ich höre ein leichtes Kichern. Oh, wie gerne hätte ich es auch gesehen. Wenn sie so kichert, werfen ihre Augen kleine Lachfältchen und lassen sie nur noch schöner aussehen. Doch sie hört auf zu kichern. „Sie werden uns nicht ewig am Leben erhalten“, meinte sie schließlich. „Irgendwann werden sie uns aufgeben und uns gehen lassen. Und was dann passiert, haben wir bei Elli gesehen.“ Sie schniefte bei dem Gedanken an Elli. Dann drehte sie sich zu mir um. Ihre ungeweinten Tränen glitzerten in ihren haselnussbraunen Augen und ließen sie noch schöner wirken. „Sie werden uns aufgeben und wir verschwinden“, wiederholte sie deutlich. „Ja“, antwortete ich und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. „Willst du das?“, harke sie nach und ich zögere. Erneut kämpfe ich die Ahnung nieder, dass es bei mir bald so sein könnte. Adrian würde mich bald verschwinden lassen. Ich zwinge mich erneut zu einem Lächeln. „Was willst du denn?“, vermeide ich die Antwort. Ihr skeptischer Blick verrät, dass sie es durchschaut hat. Aber sie kuschelt sich trotzdem ganz fest an mich. „Ich will mit dir Leben. Richtig leben.“ Ich spüre eine tiefe Sehnsucht in mir aufsteigen. Der Gedanke, mit ihr zu leben, macht mich glücklich und ängstlich zugleich. Mit ihr leben. Verreisen. Den Alltag begehen. Eine Familie gründen. Und alt werden. Mein Herz schreit mit zwei Stimmen. Die eine brüllt ja! Immer wieder „ja!“ und will nichts mehr als das. Aber die andere Stimme tönt mit einem tiefen, unheilvollen Grollen, dass das nicht wahr werden kann. Ich streiche ihr durch das weiche Haar. Ich lächele. „Und mein Bruder?“, frage ich. Nicole schaut mich irritiert an. Dann lächelt sie. Als sei ihr gerade erst eingefallen, dass es meinen Bruder, ihren Exfreund, überhaupt gibt. „Der kann uns nichts tun. Nicht mehr.“ Ich küsse sie. Ihre Lippen sind so sanft. So süß. Und sie wecken in mir die Sehnsucht nach mehr. Sie löst sich aus unserem Kuss und sieht mich ernst an. Sie lächelt. Nun ist sie es, die mir durch das Haar streicht und mich ansieht, als würde sie sich jeden Zentimeter meines Gesichtes einprägen. „Ich will mit dir leben“, flüstert sie. „Lass uns gemeinsam aufwachen.“

Eine Träne rollt über meine Wange. Ich nicke. „Ja“, hauche ich mit erstickter Stimme. „Lass uns gemeinsam aufwachen.“ Ein Strahlen erscheint auf Nicoles Gesicht. Sie lächelt und doch weint sie. „Machen wir es jetzt gleich?“, fragt sie. „Wenn du das willst“, antworte ich. Mein Herz sticht. Ich lächel. Sie lächelt. Sie nickt. Dann schließt sie die Augen, konzentriert sich. Ich streichel über ihre Wange, spüre sie. Sie beginnt zu strahlen, zu schimmern. Dann löst sie sich mehr und mehr auf. Ist nur noch ein strahlender Schemen. „Ich liebe dich!“, platzt es aus mir heraus. Sie reißt ihre Augen auf, Lächelt, öffnet den Mund und scheint etwas zu sagen. Doch sie verschwindet, bevor ich es hören kann. Löst sich auf. Einfach so. Und ich bin allein.

Ich spüre, wie eine Welle der Traurigkeit über mich schwappt. Zweifel schleichen sich an. Hier konnte ich sie für mich gewinnen. Aber ob sie mich auch dort haben will? Im Leben. Und werde ich sie da endlich beschützen können? Ich seufze schwer. „Es gibt nur einen Weg, das heraus zu finden“, sage ich. Meine Stimme hallt klar durch den seltsam leeren Raum. Sie klingt ungewohnt. Dann schließe ich die Augen. Ich spüre in mich hinein. Versuche, all die verschiedenen Gefühle, die in mir um die Vorherrschaft kämpfen, zurück zu drängen. Die Angst. Die Sehnsucht. Trauer, Liebe, Aufregung und Sorge. Als endlich eine gewisse Ruhe in mir eingekehrt ist, streckt sich mein Bewusstsein nach meinem Körper. Ich weiß, dass ich ihn erreichen kann, ich habe das schon einmal geschafft. Aber dieses Mal muss ich mich so mit ihm verbinden, dass ich in ihn zurück kehren kann. Plötzlich ist da was! Ich spüre ihn, ich spüre meinen Körper. Leer. Als würde er auf mich warten. Ich blicke mich noch einmal um. Das Zimmer erscheint mir zugleich so unglaublich fremd und vertraut. Und dann lasse ich los.

Grelles Licht umfängt mich. Ich habe keine Orientierung mehr. Wo bin ich? Bin ich wirklich zurück gekehrt in meinen Körper? Oder bin ich versehentlich gestorben? Das grelle Licht beißt in meinen Augen. Ich bin träge, komme mir vor wie gelähmt. Doch nach und nach verklingt das Licht. Viel zu langsam wird es schwächer. Und dann schält sich ein Zimmer aus dem Weiß. Ein weißes, steriles Zimmer. Ich sehe Schläuche. Ich höre ein gleichmäßiges Pipen. Ein Pumpen. Ein Rascheln. Ich schaue mich um, bewege vorsichtig meinen Kopf. Es fühlt sich an, als hätte ich viel zu viel getrunken. Alles ist schwummrig. Aber als ich neben mich sehe, entdecke ich den Schemen eines anderen Bettes. Ich strenge mich an, es deutlicher zu sehen. Und nach und nach erfüllen meine Augen ihren Dienst. Ich sehe das Bett. Ich sehe die Geräte. Ich sehe die Schläuche. Ich sehe Nicole. Sie ist bleich. Abgemagerter als in der anderen Welt. Ihre karamellbraunen Haare sind ungewaschen. Aber ihre haselnussbraunen Augen funkeln. Und ihr Lächeln erstrahlt unter den Tränen des Glücks. „David“, flüstert sie. Ich erahne mehr, was sie sagt, als dass ich es wirklich hören kann. Und doch klingt ihre so vertraute Stimme in meinen Ohren. Ich lächel. „David“, wiederholt sie. „Ich liebe dich auch!“

Für diesen Augenblick bin ich glücklich. So unbeschreiblich glücklich! Wir sind hier! Wir sind lebendig! Und wir lieben einander! Alles andere wird sich geben. Muss sich geben. Zusammen schaffen wir alles! Meine Finger bewegen sich. Ich habe noch keine wirkliche Kontrolle, aber die Sehnsucht, Nicole zu berühren, feuert mich an.

Doch dann verändert sich etwas. Das Strahlen in Nicoles Augen erlischt. Ihr Lächeln verschwindet. Und all die Wärme in ihrem Gesicht verwandelt sich in Irritation. Ich kann sehen, wie sie vergisst. Wie sie vergisst, was geschehen ist. Wie sie mich vergisst. Wie sie uns vergisst. Mir ist, als würde ich jede ihrer Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit in ihren Augen kurz aufschimmern sehen, bevor sie auf ewig verlischt. Ich will toben, ich will schreien, ich will zu ihr! Ich will sie an all das erinnern, was geschehen ist! Aber mein Körper ist wie taub. Und meine Stimme gehorcht mir noch nicht. Ich bin gefangen! Gefangen in meinem eigenen Köper! Und ich kann nichts tun, als zu zusehen, wie ich aus ihren Erinnerungen verschwinde. Immer mehr. Bis das letzte bisschen fort ist. Als ihr Lächeln erneut auf ihrem Gesicht erscheint, hat es alle Wärme verloren. Es ist ein unsicheres Lächeln. Höflich. Und dann dreht sie ihren Kopf von mir weg. Und ich starre sie nur an. Fassungslos.

In die schreiende Stille meiner Gedanken mischt sich plötzlich etwas Neues. Ich spüre, wie die Dunkelheit ihre dürren, kalten Finger nach mir ausstreckt. Stück für Stück umfasst sie meine Erinnerungen und zieht sie langsam davon. Ich spüre, wie sie schwinden. Panisch versuche ich mich dagegen zu wehren. Ich versuche einen schützenden Käfig um diese kostbaren Erinnerungen zu legen. Ich darf nicht vergessen!! Ich muss mich erinnern! Und dann muss ich Nicole dabei helfen, sich zu erinnern! Wenn nur einer von uns das behält, was wir geteilt haben, dann ist es noch nicht vorbei! Doch unaufhaltsam greift sich die Dunkelheit mit ihren dürren Fingern eine Erinnerung nach der anderen. Erst vergesse ich Kleinigkeiten. Dann Situationen. Dann verschwindet Elli. Dann der Verrat meines Bruders. Nicole! Ich klammere mich an diese eine Erinnerung, an diesen Namen, an dieses Gefühl. An diese unaussprechliche, tiefe Liebe zu ihr. Diese erwiderte Liebe. Aber die dürren Finger der Dunkelheit umfassen auch sie. Umfassen meine Nicole. Meine Nicole! Und langsam und unerbittlich ziehen sie auch Nicole von mir fort! Vollkommen gleich, wie sehr ich mich wehre! Sie nehmen sie mir weg! Und dann … ist da nur noch eine kühle Leere. Nicht mehr. Und gebeutelt von Anstrengungen, an die ich mich gar nicht mehr so recht erinnern kann, schlafe ich erschöpft ein.

Irgendwann wache ich auf. Leute kommen in das Zimmer. Das hat mich wohl geweckt. Ein älterer Mann mit einer tiefen, lauten, durchdringenden Stimme. Zwei Frauen. Die Ältere weint. Die Jüngere packt irgendwelche Sachen aus dem Schrank und dem Nachtkasten des anderen Krankenhausbettes. In diesem andere Bett liegt eine junge Frau. Durch das Gewusel hindurch treffen sich unsere Blicke. Sie lächelt mich entschuldigend an. Zuckt mit den Schultern. Ich nicke ihr zu. Lächel sie an. Sie sieht nett aus. Dann drehe ich mich wieder um und starre an die Decke. Ich höre die ältere Frau jammern. Sie sagt immerzu „Nicole“. Ich drehe mich verstohlen um. Ob das der Name dieser jungen Frau ist? Naja. Geht mich ja nichts an. Da schwingt die Türe auf. Ein Arzt kommt rein. Ich brauche einen Moment, um ihn zu erkennen. Es ist Adrian. Mein Bruder. Ich spüre einen Stich in meiner Brust. Aber … warum? Liegt es daran, dass er mich gar nicht beachtet und gleich zu der jungen Frau geht? Vermutlich. Sie reden miteinander. Ich blende es aus, höre nicht hin. Stattdessen lehne ich mich in meinem unbequemen Krankenhausbett zurück. Ich schließe die Augen, versuche das bedrückende Gefühl eines vergessenen Traumes zu greifen. Aber … da ist nichts mehr. Dennoch … irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich niemals hätte aufwachen dürfen …

Es lärmt. Ich schrecke auf und blicke zu dem anderen Bett. Die junge Frau wird mitsamt des Bettes aus dem Zimmer geschoben. Unsere Blicke treffen sich ein weiteres Mal. Sie nickt mir förmlich zu. Ich erwidere den Gruß. „Tschüss“, sage ich. Es ist wohl eher ein unverständliches Murmeln. Ihre Augen flimmern. Es sind schöne Augen. Tief Braun. Sie dreht sich nochmal zu mir um, aber da sie immer weiter geschoben wird, verliert sich der Moment. Und sie verschwindet aus meinem Leben. Mein Bruder begleitet sie. Als er die Tür schließt, dreht er sich noch einmal um. Er sieht mich an. Sein Blick ist eiskalt. Dann fällt die Türe ins Schloss. Mit einem Mal ist es so ruhig in diesem kleinen Zimmer. Nichts ist mehr da. Außer das unbestimmte Gefühl, dass ich irgendwas vergessen habe. Ob es wohl etwas Wichtiges war?

„Der Willmuss“

Im Rahmen meiner frühen therapeutischen Tätigkeit fiel mir auf, wie häufig Menschen sich selbst mit der Aussage „Ich muss …“ unter Druck setzen. In solchen Situationen macht es hier Sinn, die Absolutheit dieser Formulierungen zu hinterfragen. Und die Formulierung teilweise mit „Ich will“ oder „Ich möchte“ zu ersetzen. Allerdings stieß ich – sowohl im Außen als auch bei mir – auf Dinge, die einem intensiven inneren Drang entspringen. Eine Art Müssen, die intern motiviert ist. Um diese Form von dem belastenden „Ich muss“ zu unterscheiden, begann ich manchmal mit einem Augenzwinkern zu sagen: „Der Willmuss ist das einzige Müssen, das hier Raum hat.“ Dadurch entwickelte sich bei mir nach und nach „Der Willmuss“. Eine kleine innere Instanz aus der Familie der Impulse, die das Wollen und das Müssen auf potentialsträchtigste Weise miteinander vereint. Ein Wollen, das so intensiv und definierend geworden ist, dass es zur Notwendigkeit geworden ist. Aber nicht als Belastung, sondern als Motivation.

So entstand der Willmuss. Aus dem Willmuss entwickelte sich ein ganzer Komplex aus „Impulsen“, die schließlich in einer kleinen Geschichte Ausdruck fand. Diese Geschichte wartet jetzt in meiner Schublade auf den Moment, dar sie endlich zu einem kleinen, illustrierten „Therapiebüchlein“ wird. Nach dem Vorbild von „Der Seelenvogel“ oder „Mein schwarzer Hund„.

Und da ich fürchte, dass die Geschichte noch ein bisschen warten muss, möchte ich die „Impulse“ in diesem Rahmen schon mal mit ihren aktuellen Illustrationen ein bisschen vorstellen:

Der Brauche

„Er schlüpfte aus dem ersten Schrei des Säuglings, geboren aus dem drängenden Wunsch zu leben. Mit tränenfeuchten, großen Knopfaugen blickt er aus seinem pummligen Körper hinaus in die Welt. Seine Pauspacken und sein bunten, lockiges Fell lassen ihn gar niedlich und bedürftig erscheinen, sodass man ihm gerne etwas Gutes tut. Öffnet er jedoch seinen kleinen Schmollmund, so entschlüpft ihm ein Brüllen. Ein Brüllen, dass drängend und ungeduldig ist und direkt. Und nährt sich ihm das Begehrte, dann greift sein dreigliedriger Schweif danach
und lässt es nimmer mehr gehen.“ 

Der Will

Der Wollen erwuchs aus der ersten Begierde. Die stechenden Augen über seiner schmalen Schnauze brennen vor Verlangen und die scharfen Krallen seines schlanken, sechsfüßigen Leibes sind bereit für den Kampf. Sein spitzer Schrei geht durch Mark und Bein. Er klingt fordernd und ist gespeist con der unbändigen Sorge, zu kurz zu kommen. Dieser Schrei erinnert an einen Angriff. Dieser Impuls ist stets bereit, seine hohen Ziele zu erreichen.

Der Sollte

Auch gibt es den Sollte. Sein träger, dicker Körper behindert jede Bewegung und seine müden Augen blicken traurig in die Welt. Sein Rufen klingt stets wie ein erstickter Seufzer und wann immer er ihn tut, scheinen die harten Hornplatten auf seinem Rücken schwerer zu werden. Geboren ward er durch die äußeren Moralien, die seine vier hängenden Ohren gar gut entfangen und halten.

Der Kann

„Die langen, sensiblen Schnurrhaare des Kann sind gar trefflich, um seine Nische zu finden. Und die kräftigen Beine seines muskulösen Körpers tragen ihn überall hin. Geboren ward dieser Impuls aus dem ersten Trotz. Er ist in jeder seiner Bewegungen stolz und kontrolliert. Er ist der Bruder des Wollen und gemeinsam können sie die Feuer des Trotzes entzünden und die Welt neu erschaffen. Doch zu welchem Preis?“

Der Wünschte

„Der Wunsch ist ein sanfter, gar unscheinbarer Impuls. Seine Augen sind zumeist geschlossen und seine Schnurrhaare vibrieren zu einer unhörbaren Melodie. Er ist geboren aus der reinen Demut und ist stets zurückhaltend, brav und vertrauensvoll. Er kuschelt sich gerne hinein in sein weiches, flauschiges Fell aus weiß-silbriger Wolle. Seine kurzen Beine tragen ihn nicht. Und will er sich bewegen, so öffnet er seine tiefen, traurigen Augen. Aus ihnen spricht eine so tiefe und rührende Sehnsucht, dass er getragen wird wo immer er hin will.“

Der Muss

Der Muss entstand aus den ersten Regeln und Pflichten des Menschen. Regeln, die vom Außen herangereicht wurden an des Herzens Landschaft. Seine langen, schwarzen Haare fließen wie Teer über den Boden und machen jede Bewegung schwer. Seine schlaffen Ohren hängen schlapp hinunter und hören doch jedes auferlegte Wort. Dieser Impuls ist gar kräftig und trotz seines schweren Fells vermag er sich unerbittlich voran zu quälen. Was bleibt ihm auch? Denn seine vom filzigen Fell verborgenen Beine haben keine Knie und so kann er sich keine Pause gönnen. Zugleich ist dieser Impuls stets am Plappern und am Murmeln und ist nicht einen Augenblick lang still. Es ist ermüdend ihm zu lauschen. Denn er ist der Lauteste von allen und sein gemurmelter Schrei ist treibend und drängend.

Der Darf

„Der Darf ist ein gar misstrauischer und scheuer Impuls. Seine großen, runden Ohren und die scharfen Knopfaugen eigenen gar trefflich, um Dinge von Außen wahr zu nehmen. Seine zierlichen Pfötchen sind hervorragend dafür, sich vorsichtig voran zu tasten. Und jegliche Bewegung, die er tut, tut er ausnahmslos mit der Erlaubnis anderer.“

Der Willmuss

Der Willmuss ist ein gar possierliches Tierchen. Sein warmes Fell ist so weich wie Wattewolken und trägt auf dem Rücken ein lächelndes Gesicht als Muster. Das Fell ist dicht genug, um den Willmuss zu schützen und weich genug, dass man ihm etwas Gutes tun möchte. Sein rundlicher Kopf beherbergt neugierige Knopfaugen, eine Stupsnase und einen Mund, der ein ansteckendes Lächeln zu tragen scheint. Sein schnurrendes Maunzen ist nicht fordernd noch drängend, aber fest entschlossen in sich. Seine runden Ohren hören nur Gutes und wandeln jedes böses Wort in verdecktes Wohlwollen. Sein kuschliger Körper verbirgt eine immense Kraft und seine tappsigen Pranken verfügen über eine erstaunliche Anmut. Geboren ward dieser Impuls aus der Reinheit des Seins. Aus dem Gefühl von Richtigkeit und Entwicklung. Und alles an diesem Impuls spricht von einem untrüglichen Vertrauen in das Gute in der Welt.


Und hier das vollständige Manuskript über den Willmuss und die Impulse:

Der Willmuss

Tief in uns Menschen, auf den geheimen Landschaften unserer Herzen, leben die Impulse. Diese Impulse prägen unsere Denkmuster und Motivationen. Und formen dadurch unser Leben.

Einer dieser Impulse ist der Brauche. Er schlüpfte aus dem ersten Schrei des Säuglings, geboren aus dem drängenden Wunsch zu leben. Mit tränenfeuchten, großen Knopfaugen blickt er aus seinem pummligen Körper hinaus in die Welt. Seine Pauspacken und sein bunten, lockiges Fell lassen ihn gar niedlich und bedürftig erscheinen, sodass man ihm gerne etwas Gutes tut. Öffnet er jedoch seinen kleinen Schmollmund, so entschlüpft ihm ein Brüllen. Ein Brüllen, dass drängend und ungeduldig ist und direkt. Und nährt sich ihm das Begehrte, dann greift sein dreigliedriger Schweif danach und lässt es nimmer mehr gehen.

Der Wollen erwuchs aus der ersten Begierde. Die stechenden Augen über seiner schmalen Schnauze brennen vor Verlangen und die scharfen Krallen seines schlanken, sechsfüßigen Leibes sind bereit für den Kampf. Sein spitzer Schrei geht durch Mark und Bein. Er klingt fordernd und ist gespeist von der unbändigen Sorge, zu kurz zu kommen. Dieser Schrei erinnert an einen Angriff. Dieser Impuls ist stets bereit, seine hohen Ziele zu erreichen.

Auch gibt es den Sollte. Sein träger, dicker Körper behindert jede Bewegung und seine müden Augen blicken traurig in die Welt. Sein Rufen klingt stets wie ein erstickter Seufzer und wann immer er ihn tut, scheinen die harten Hornplatten auf seinem Rücken schwerer zu werden. Geboren ward er durch die äußeren Moralien, die seine vier hängenden Ohren gar gut entfangen und halten.

Die langen, sensiblen Schnurrhaare des Kann sind gar trefflich, um seine Nische zu finden. Und die kräftigen Beine seines muskulösen Körpers tragen ihn überall hin. Geboren ward dieser Impuls aus dem ersten Trotz. Er ist in jeder seiner Bewegungen stolz und kontrolliert. Er ist der Bruder des Wollen und gemeinsam können sie die Feuer des Trotzes entzünden und die Welt neu erschaffen. Doch zu welchem Preis?

Der Wunsch ist ein sanfter, gar unscheinbarer Impuls. Seine Augen sind zumeist geschlossen und seine Schnurrhaare vibrieren zu einer unhörbaren Melodie. Er ist geboren aus der reinen Demut und ist stets zurückhaltend, brav und vertrauensvoll. Er kuschelt sich gerne hinein in sein weiches, flauschiges Fell aus weiß-silbriger Wolle. Seine kurzen Beine tragen ihn nicht. Und will er sich bewegen, so öffnet er seine tiefen, traurigen Augen. Aus ihnen spricht eine so tiefe und rührende Sehnsucht, dass er getragen wird wo immer er hin will.

Der Muss entstand aus den ersten Regeln und Pflichten des Menschen. Regeln, die vom Außen herangereicht wurden an des Herzens Landschaft. Seine langen, schwarzen Haare fließen wie Teer über den Boden und machen jede Bewegung schwer. Seine schlaffen Ohren hängen schlapp hinunter und hören doch jedes auferlegte Wort. Dieser Impuls ist gar kräftig und trotz seines schweren Fells vermag er sich unerbittlich voran zu quälen. Was bleibt ihm auch? Denn seine vom filzigen Fell verborgenen Beine haben keine Knie und so kann er sich keine Pause gönnen. Zugleich ist dieser Impuls stets am Plappern und am Murmeln und ist nicht einen Augenblick lang still. Es ist ermüdend ihm zu lauschen. Denn er ist der Lauteste von allen und sein gemurmelter Schrei ist treibend und drängend.

Der Darf ist ein gar misstrauischer und scheuer Impuls. Seine großen, runden Ohren und die scharfen Knopfaugen eigenen gar trefflich, um Dinge von Außen wahr zu nehmen. Seine zierlichen Pfötchen sind hervorragend dafür, sich vorsichtig voran zu tasten. Und jegliche Bewegung, die er tut, tut er ausnahmslos mit der Erlaubnis anderer.

Das sind unsere Impulse. Geboren aus Mangel und Angst. Sie haben ihre Stärken, die uns durch das Leben tragen. Und sie haben ihre Schwächen, die uns bedrücken und binden. Der letzte Impuls, von dem ich erzählen werde, ist der Willmuss.

Der Willmuss ist ein gar possierliches Tierchen. Sein warmes Fell ist so weich wie Wattewolken und trägt auf dem Rücken ein lächelndes Gesicht als Muster. Das Fell ist dicht genug, um den Willmuss zu schützen und weich genug, dass man ihm etwas Gutes tun möchte. Sein rundlicher Kopf beherbergt neugierige Knopfaugen, eine Stupsnase und einen Mund, der ein ansteckendes Lächeln zu tragen scheint. Sein schnurrendes Maunzen ist nicht fordernd noch drängend, aber fest entschlossen in sich. Seine runden Ohren hören nur Gutes und wandeln jedes böses Wort in verdecktes Wohlwollen. Sein kuschliger Körper verbirgt eine immense Kraft und seine tappsigen Pranken verfügen über eine erstaunliche Anmut. Geboren ward dieser Impuls aus der Reinheit des Seins. Aus dem Gefühl von Richtigkeit und Entwicklung. Und alles an diesem Impuls spricht von einem untrüglichen Vertrauen in das Gute in der Welt.

Der Willmuss ist nicht laut doch unüberhörbar. Und wenn er spricht, werden die anderen Impulse still. Folgst du dem Willmuss und hörst ihm gut zu, so wird er dich tragen, wohin du gehörst. Denn er ist reiner als der Will und selbstbestimmter als der Muss. Er setzt Ziele ohne Mangel, Angst und Wut. Und er gibt dir, was immer du brauchst, um glücklich zu sein. Wann immer du also den Willmuss hörst, lausche ihm wohl. Und lass dich führen, wo dein Glück dich trifft.

„Mini-Körbe“

Die Reihe der „Mini-Körbe“ ist eine Sammlung an durchschnittlich 20×20 cm großen Körbchen, die in ihrem Design möglichst unterschiedlich sind. Ich wollte sie als Ansichtskörbe für Korbflecht-Seminare nutzen. Denn sie zeigen in den Kategorien Basis, Geflecht,  Muster, Rand und Zusatz (Deckel, Henkel und Form) alle Techniken, die zu vermitteln ich in der Lage bin. Hier möchte ich diese Techniken anhand dieser Mini-Körbe vorstellen und aufschlüsseln:


Basis:       Brett, einfach

Geflecht: 3 Fäden hell, rechts

Muster:   doppelte Einzelfaden, dunkel

Rand:       schmal über zwei

Zusatz:     Henkel, Einfadig geschlauft


Basis:      Basis: Brett, einfach, links

Geflecht: 3 Fäden dunkel, rechts

Muster:  Band mit Schleife

Rand:      2er-Zuschlag

Zusatz:    Henkel, sechs Fäden gewunden mit Schelle


Basis:      Brett, zweilagig hoch

Geflecht: 3 Fäden hell, links

Muster:  Perlen in Starken

Rand:      3er-Zuschlag

Zusatz:    Henkel, vier Fäden umwunden mit Kreuz


Basis:      Brett, hoch und schmal

Geflecht: 2 Fäden, hell, rechts

Muster:  Auslassung mit sichtbaren Starken

Rand:      doppelt hell zugesteckt, versäubert

Zusatz:    eingelassene Henkel


Basis:    Brett,  2er-Zuschlag

Geflecht: 5 Fäden, hell, rechts

Muster:  2 Fäden mit Richtungswechsel, hell

Rand:      einfach hell zugesteckt und versäubert

Zusatz:    Loch


Basis:      Brett, über zwei

Geflecht: 3 Fäden, hell, rechts

Muster:  3 Fäden dunkel, von Doppelfaden umrandet

Rand:      4er-Zuschlag

Zusatz:    Doppelfaden mit unterschiedlichen Farben


Basis:      Brett, dunkler Doppelfaden eingefädelt

Geflecht: 4 Fäden hell, 4 Fäden dunkel, übereinander, rechts

Muster:  hochwindend, hell über zwei, dunkel über drei

Rand:      3er-Zuschlag, versäubert

Zusatz:    dunkles Geflecht steht hervor


Basis:      Brett, nach Oben umwunden

Geflecht: 5 Fäden, hell, rechts

Muster:  Fischgräte (9-Fädig), dunkel

Rand:      zweifach dunkel zugesteckt, über zwei

Zusatz:    Deckel  mit Knubbelgriff


Basis:      8 Fäden gelegt, geknickt

Geflecht: 3 Fäden, hell, rechts

Muster:  Schichtfarbwechsel, 4 Fäden dunkel über zwei

Rand:      2er-Zuschlag

Zusatz:    Deckel mit geschlauften Griff, herausstehende Henkel


Basis:      9 Fäden gelegt, zugesteckt, Versäuberung mit Bogen

Geflecht: 3 Fäden, hell, rechts

Muster:  Geleimt

Rand:      Zacken mit Einzelfaden umwunden

Zusatz:    Flachdeckel mit Öse


Basis:      8 Fäden geritzt, gebogen

Geflecht: 2 Fäden, hell, rechts

Muster:  Rundboden

Rand:      breites Geflecht nach Außen

Zusatz:    Deckel mit beweglichem Ring


Basis:      8 Fäden geritzt, gesteckt, geflochten

Geflecht: 3 Fäden, dunkel, rechts

Muster:  Perlen in Flechtfäden

Rand:      nach Außen gelegt, zweifach geflochten

Zusatz:    Deckel mit Perlengriff 


Basis:      8 Fäden im Wechsel gelegt (mit Loch)

Geflecht: 3facher Doppelfaden, dunkel, rechts

Muster:  Doppelfaden

Rand:      hoch und Schmal mit doppelt dunkel zugesteckt

Zusatz:    Schalenform


Basis:      8 Fäden gelegt, geknickt, mit Sockel

Geflecht: 3 Fäden, rechts

Muster:  2 Fäden hell, 1 Faden dunkel

Rand:      hoch und schmal

Zusatz:    nach innen gewölbter Boden


Basis:      8 Fäden gelegt, zugesteckt, dunkel

Geflecht: 3 Fäden, hell und dunkel 

Muster:  allmählicher Farbübergang

Rand:      Bogen

Zusatz:    taillierte Form


Basis:      8 Fäden gelegt, umrundet, gesteckt, umgelegt

Geflecht: 3 Fäden, hell, rechts

Muster:  dunkle Einsätze, 1x gelegt und 1x umwunden

Rand:      2er-Zuschlag

Zusatz:    Schräg


Basis:      oval, 8 Fäden geritzt, gesteckt, geflochten

Geflecht: 2 Fäden, hell, rechts

Muster:  gekreuzte Starken

Rand:      einfach mit Ende draußen

Zusatz:    beweglicher Henkel


Basis:      Füllhorn

Geflecht: Einzelfaden, hell, rechts

Muster:  zugesteckte Starken (Erweiterung)

Rand:      doppelter Bogen

Zusatz:    /


Basis:      8 Fäden geritzt, gebogen

Geflecht: 2 Fäden mit Richtungswechsel, hell

Muster:  längliches Loch

Rand:      zugeschnürt

Zusatz:    / 


Basis:      Rahmenkorb

Geflecht: Einzelfaden mit Richtungswechsel, hell

Muster:  dunkler Einsatz

Rand:      doppelte Umrundung des Rahmen

Zusatz:    Henkel mit 5 Fäden umwunden


Basis:      Rahmenkorb

Geflecht: Einzelfaden mit Richtungswechsel

Muster:  Eingefärbt (mit ausgewaschener Leimfarbe)

Rand:      Schlaufen um Rahmen

Zusatz:    Henkel mit einem Faden umwunden


Basis:      8 Fäden gelegt, geknickt

Geflecht: 3 Fäden, rechts

Muster:  3 Farben

Rand:      Schmal über einen

Zusatz:    Wäscheleine


Basis:      12 Fäden gelegt, gebogen

Geflecht: 2 Fäden

Muster:  /

Rand:      Mehrfachgeflochten nach Oben

Zusatz:    leicht gewölbter Teller


Basis:      8 Fäden gelegt

Geflecht: 2 Fäden

Muster:  /

Rand:      einfacher Rand, links

Zusatz:    Untersetzer


Basis:      Doppelstarken mit einem durchgehend

Geflecht: Einzelfaden mit Richtungswechsel, hell

Muster:  Senke mit doppelter Umrundung

Rand:      Einfach, versäubert

Zusatz:    Dreiergriff und Säulen


Schloss Berlepsch

Im Rahmen einer Initiative der „Burgen und Schlösser“ kam die Familie von Berlepsch im Februar 2021 mit der Anfrage auf mich zu, ob ich ihrem Stammsitz „Schloss Berlepsch“ ein „Haus- und Hofmärchen“ schreiben wolle.

In der Folge las ich mich in die beeindruckende Historie dieses seit mehreren Jahrhunderten im Familienbesitz befindlichen Schlosses ein. Um nicht unnötig mit den Fakten zu kollidieren, entwickelte ich ein Entstehungsmärchen der Familien von Berlepsch, das zeitlich vor den offiziellen Aufzeichnungen spielten sollte. Dadurch nahm ich den Fokus von dem Schloss selbst und legte ihn auf die Werte und die Essenz der Familiengeschichte.

Das fertige Ergebnis wurde von der Familie von Berlepsch sehr positiv aufgenommen und wird hoffentlich noch in unterschiedlicher Form weiter getragen werden.

Seit Mai 2023 gibt es auch eine gedruckte Version mit einigen schlichten Illustrationen. Sie ist bei der Autorin oder über Amazon zu erhalten.


Joachim und die Bärentochter

– die Anfänge der Familie vom Schloss Berlepsch –

Hoch über den Lindenkronen des Werratals thront ein altehrwürdiges Schloss. Es thront dort seit hunderten von Jahren als ein Denkmal für Beständigkeit und Wandel gleichermaßen. In all dieser Zeit hat es so mancherlei erlebt und so mancherlei gesehen. So horch! Wenn du ganz achtsam lauschst, so erzählen dir die alten Steine, die vom Wind gestreichelt werden, ihre Geschichte. Eine Geschichte von Sittigen und Sparren. Eine Geschichte von Geschick und Klugheit. Eine Geschichte von tapferen Müttern und ritterlichen Tugenden. Die Geschichte der Familie von Berlepsch.

Diese Geschichte, die jene alten Mauern erzählen, begann weit vor der Zeit, da die Schriftstücke Zeugnis tragen. Und sie begann gar weit entfernt von dem Schloss, das diese Legende weiterträgt. Sie begann mit einem Knaben, der auf den Namen Joachim hörte. Joachim lebte ein ruhiges und friedliches Leben, umgeben von seiner Familie, die ihn spürbar liebte. Und in diese Liebe waren Werte eingeflochten, die den Knaben sein Leben lang begleiten sollten. Joachim lernte, Mitgefühl zu haben und sich für jene einzusetzen, die schwächer waren. Er lernte, weise und gerecht zu entscheiden. Er lernte, klug und bedächtig zu handeln. Und er lernte, demütig zu sein gegenüber der Welt. Während er all dies lernte, erwuchs aus dem Knaben ein stattlicher Jüngling. Er begab sich wie bereits seine Vorväter in den Dienst des Landes und ward zu einem tapferen und redlichen Ritter. Als dieser Ritter zog er hinaus in die Welt.

Auf seiner Reise überstand Joachim gar mancherlei Abenteuer und traf so manch treuen Freund. Er lernte Dinge, die gar ungewöhnlich schienen, und sah Wunder, deren Beschreibung jegliche Worte spottete. Und stets setzte er sich dafür ein, dass er einen jeden Ort ein Stück besser verließ, als er ihn vorgefunden hatte. Dabei nutzte er die Werte und Geschicke, die seine liebende Familie ihm vermittelt hatte. Er blickte auf niemanden hinab, nicht Mensch noch Tier. Er hörte zu und nahm sich Zeit, um zu verstehen. Und er ließ die Notwendigkeit zurück, sich um seiner selbst willen zu präsentieren.

Das Abenteuer aber, dass all diese Talente am meisten forderte und sein weiteres Leben am nachhaltigsten prägte, betrug sich nicht in den Weiten der Welt, sondern in einem kleinen Dorf mit dem Namen Barlewissen.

Barlewissen lag im Südwesten der Stadt, die uns heutzutage als Göttingen bekannt ist. Und als Joachim mit seinen Gefährten in diesem Dorf ankam, war es mit Furcht und Kummer angefüllt. Die Reisenden fragten, was denn der Grund für das Leid sei, und die Bewohner berichteten, dass sich im nahen Wald Bären befänden. „Sie kommen des Nachts, plündern unsere Häuser und reißen unsere Tiere! Und wann immer tapfere Recken ausziehen, um sie zu vertreiben, verlieren diese ihr Leben durch einen Prankenhieb!“, klagten die Dörfler ihr Leid. Und als diese jammervollen Tränen Joachims Herz erreichten, versprach er, sich der Bären anzunehmen. So ging er mit seinen Gefährten in den nahen Wald. Bald erreichten sie eine Lichtung, auf der eine mächtige Bärin saß und mit wachsamer Ruhe ihre drei spielenden Jungtiere betrachtete. In ihrer Mitte aber, nah bei der Bärin, saß eine feine Jungfer, die in ein langes, weißes Kleid gehüllt war. Sie saß auf einem Baumstumpf und schaute mit sanftem Blick auf ihre Hände, die strahlende Sommerblumen ineinander verflochten. Als Joachim diese Jungfer sah, machte sein Herz einen leisen Sprung. Und als hätte sie diesen Sprung gehört, blickte die Jungfer auf und sah mit ihren lindenholzbraunen Augen in das Dickicht, in dem sich Joachim und seine Gefährten verbargen. Joachim war, als suchten ihre Augen die seinen. Und er ahnte, dass ihm diese Jungfer eines fernen Tages alles bedeuten würde.

Da drohte das Dickicht zu rascheln, als einer der Gefährten im wagemutigen Leichtsinn aufzuspringen versuchte, um die Bärin und ihre Jungtiere zu einem tödlichen Kampf herauszufordern. Joachim aber legte ihm geschwind eine Hand auf die Schulter und drängte ihn zurück. „Still!“, zischte er seinem Gefährten zu. „Eine Schlacht wie diese will mit Klugheit und Geduld begangen sein!“ So schlichen die tapferen Ritter von der Lichtung fort an einen Ort, an dem sie ihre Pläne fassen konnten. Dort sprachen sie ernste Worte miteinander. Einer von ihnen sprach im Übermut: „Die Überraschung war auf unserer Seite! Wir hätten das Getier gleich erschlagen sollen, dann wäre Frieden gewesen in diesem armen Dorf! Was bringt’s zu zögern!?“ Joachim jedoch blieb besonnen und dachte lange nach. „Irgendwas will mir nicht ganz gefallen an der Geschichte“, gab er schließlich zu. Doch was es war, vermochte er nicht zu sagen.

So warteten Joachim und seine Gefährten einige Tage in dem Dorf Barlewissen. Doch auch, wenn die Straßen am Morgen auf Bärenart verwüstet waren, gelang es ihnen nicht, die Bären bei ihrem Treiben zu bezeugen. Da haderte Joachim mit sich. Er verstand, was die braven Bürger von ihm und seiner Ritterehre erwarteten. Und er wusste, dass seine Gefährten mit ihm in den Kampf gegen das mächtige Bärentier ziehen würden. Und doch war irgendwas nicht rechtens.

Eines Morgens erwachte Joachim bereits zu früher Stunde. Ihm war im Traum, als sängen ihm die Vögel ein Lied von Heimat. Und weil er sich keinen Reim darauf machen konnte, kleidete er sich an und schritt in die frische Morgenluft hinaus. Sein Weg führte ihn immer tiefer in den Wald, bis er am Rande der Lichtung stand. Da trat die Bärin heraus aus der Höhle, in der ihre Jungtiere und die Jungfer lagen. Ganz so, als habe sie ihn kommen hören. Lange stand sie nur da, den Blick ihrer klugen Augen gen Dickicht gewandt. So lauerten sie beide. Die Bärin vor der Höhle und Joachim im Schutze der Bäume. Schließlich aber seufzte Joachim und trat auf die Lichtung. Die Bärin spannte ihre Muskeln an und schob ihren Körper schützend vor die Höhle. Ihre Lefzen zitterten in einem grollenden Knurren. Joachim aber verneigte sich.

„Guten Morgen, Mutter Bär“, grüßte er das wilde Tier, ohne sich weiter zu nähern. „Ich bedauere, Euch zu stören, doch es gibt ein dringliches Anliegen, dass ich mit Euch zu bereden habe.“ Joachim wusste nicht, was er sich von alledem erwartete. War ihm doch klar, dass ein Tier vor ihm stand und kein vernunftbegabter Mensch. Und doch, was immer er erwartet hatte, es hatte nichts mit dem gemein, was geschah: Die Bärin hörte auf, die Lefzen zu kräuseln, und bedachte ihn mit einem misstrauischen Blick. Dann ließ sie sich schwer auf ihren Hintern fallen, reckte den Hals und wies auf den Baumstumpf in der Mitte der Lichtung. Verwundert und vorsichtig tat Joachim, wie ihm geheißen war. Etwas verunsichert nahm er auf dem Baumstumpf Platz und erwiderte versöhnlich den fordernden Blick der Bärin. Diese schnaubte. Joachim verstand dies als Aufforderung, mit seiner Rede fortzufahren. Er räusperte sich. „Die Dorfbewohner von Barlewissen sind besorgt, dass Ihr des Nachts durch die Straßen wandert, die Häuser plündert, die Tiere reißt und ihre tapferen Recken tötet“, erklärte er. Da knurrte die Bärin verächtlich. Und eine sanfte Stimme erklang aus der Höhle: „Wenn Eure teuren Dorfbewohner ihr Leben wahren wollen, sollten sie aufhören, eine Mutter und ihre Kinder zu bedrohen.“

Als sie so gesprochen hatte, trat die Jungfer mit den lindenholzbraunen Augen und dem weißen Gewand aus dem Schatten der Höhle. Sie streckte ihre zierlichen Hände aus und vergrub sie kraulend in das Schulterfell der Bärin. Diese schloss kurz die Augen und gab ein genussvolles Gurren von sich. Dann wandte sie sich wieder mit lauerndem Blick dem seltsamen jungen Mann zu. Dieser aber hatte nur Augen für die Jungfer. „Was meint Ihr?“, fragte er mit ehrlichem Erstaunen. Die Jungfer reckte ihren Hals in stolzer Geste. „Wir suchen weder das Dorf heim, noch plündern wir die Häuser. An ihren Tieren haben wir kein Interesse und die Männer starben, da sie unsereins bedrohten. All diese Lügen sollen nur dazu dienen, uns aus unserem angestammten Wald zu vertreiben. Nun sage mir, Ritter, wer ist im Unrecht? Wir, die wir hier friedlich leben, oder jene, die uns heimsuchen?“ Da schwieg Joachim eine Weile. Schließlich nickte er. „Lasst mich eine Weile über diese Worte nachsinnen und sie mit den Dorfbewohnern teilen“, sagte er und zog von dannen, um über das Gehörte zu sinnieren.

Die Sonne stand im Zenit, als er nach einem langen Waldspaziergang ins Dorf zurückkehrte. Die Bewohner empfingen ihn überaus freudig, denn sie hatten gefürchtet, dass auch dieser tapfere Kämpfer ein Opfer der Bären geworden war. Er aber bat sogleich, mit dem Dorfobersten zu sprechen, und legte ihm das Erlebte dar. „Nun steht eine Aussage gegen eine Aussage“, schloss er die Erzählung. „Es ist leicht, nun eine Entscheidung zu treffen, doch es wird nie gewiss sein, ob es die rechte war. Daher möchte ich Euch, edler Dorfoberster, bitten, mit mir zu der Bärin zurückzukehren, um zu erfahren, was die Wahrheit ist.“

Der Dorfoberste war natürlich empört über diese ungerechten Worte. Wie absurd erschien es ihm, mit einem Bären zu verhandeln! Doch Joachim hielt seinem Blick stand und der Dorfoberste haderte. Wollte er sich doch keinesfalls vorwerfen lassen, nicht alles versucht zu haben, um den Frieden in sein Dorf zurückzuholen. Sei es auch etwas derart Lächerliches, wie das Gespräch mit einem Tier zu suchen. Und so erklärte er sich schließlich dazu bereit, sich für einen Schlichtungsversuch mit der Bärin zu treffen. Zusammen mit Joachim und zwei Begleitern machte er sich auf den Weg zu der Lichtung. Dort trafen sie auf die Bärin und die Jungfer, die sie zum Gespräch begrüßten. Als Zeichen der Gastfreundschaft hatten sie Beeren und Tau auf den Baumstumpf gelegt. Und so begannen die mühseligen Gespräche.

Joachim griff ein ums andere Mal schlichtend in den Wortwechsel ein. Und obgleich sie sich nicht auf eine gemeinsame Wahrheit einigen konnten, so gelang es ihnen doch, einen vorläufigen Frieden zu schließen. Der Dorfoberste versprach, dass keine Jungspunde zur Bärenjagd mehr ausgesandt würden. Und die Bärin versprach, dem Dorf nicht nahe zu kommen. Und so gingen sie auseinander. Beiden Seiten war klar, dass bei diesem Treffen keine endgültige Lösung gefunden worden war, doch Joachims Schlichtung hatte den Konflikt zumindest für eine Zeit abschwächen können. Nun würden die nächsten Wochen über den sensiblen Frieden entscheiden.

Als sie die Lichtung ein Stück weit hinter sich gelassen hatten, nahm Joachim den Dorfobersten zur Seite und flüsterte ihm ein paar wohlgemeinte Worte zu. Er erklärte, dass der geschlossene Frieden die Wahrheit nicht gänzlich erschlossen habe. Und so wäre es klug, Vorkehrungen zu treffen. Er regte an, dass auf den Wegen ins Dorf und in den Straßen des Abends Sand ausgelegt werden sollte. Und wessen Spuren am Morgen auch immer dort zu finden seien, wären die jenes Übeltäters, der für die Verwüstungen verantwortlich sei. Auch sollten sich tüchtige Jünglinge finden, die Wache halten sollten. So ward es getan.

Es dauerte kaum eine Woche, da waren die Häuser erneut geplündert und ein weiteres Tier war geschlagen. Nun aber waren im Sand deutliche Fußspuren zu sehen, die nichts mit denen eines Bären gemein hatten. Und auch die Wächter hatten keine Tiere gesehen, sondern nur in die Dunkelheit gehüllte Gestalten. Und so hielt Joachim selbst Wache. Er spannte dünne Schnüre in den Straßen, die in seine Kammer führten und dort an einem kleinen Glöckchen endeten. Wer immer an diese Schnüre käme, würde das Glöckchen zum Klingen bringen und somit seine Anwesenheit kundtun.

Joachim ward weit nach Mitternacht von dem leisen Glöckchen geweckt. Er nahm sich Schwert und Wams und schlich hinaus in die Dunkelheit. Er erblickte alsbald die Gestalten und folgte ihnen leise nach. Sie schleppten ein weiteres Mal Diebesgut fort bis tief in den Wald und hinterließen ein gerissenes Tier im Graben. Doch nicht zur Bärenlichtung führte ihr Weg, sondern ins tiefste Unterholz, wo sie eine Hütte als Quartier hatten. Dort saßen lachende Männer am Feuer und Berge von Diebesgut türmten sich neben ihnen auf. Die Männer stießen mit Bier auf ihre List an und freuten sich, dass die Dorfbewohner durch ihre Angst vor den Bären blind waren für die Wahrheit. Joachim beobachtete alles genau, als er plötzlich einen vertrauten Blick auf sich spürte. Er kniff die Augen zusammen und suchte das gegenüberliegende Dickicht ab, als er die Jungfer erblickte. Sie legte den Finger auf ihre vollen Lippen und nickte gen Norden. Joachim verstand. Mit leisen Schritten machte er sich auf den Weg, um die Jungfer zu treffen.

„Was machst du hier?“, flüsterte er ihr zu, als er sie in sicherem Abstand zu dem Banditenlager traf. Sie erklärte, sie habe sich selbst auf die Suche nach der Wahrheit machen wollen. Als Joachim nach ihrem Grund fragte, lächelte sie verlegen. „Seit so langer Zeit kommen Leute und bedrohen unser Leben aufgrund haltloser Gerüchte. Sie greifen uns an, ohne sich für unser Erleben zu interessieren. Du aber warst der Erste, der nach unserer Seite gefragt hat. Du warst der Erste, der sich dazu bereit erklärte, vorurteilsfrei zu vermitteln. Da verstand ich, dass auch wir uns auf die Suche nach der Wahrheit machen können. Und so wachten meine Familie und ich über das Dorf und folgten den Banditen, die uns ihre Schandtaten anhängen wollen.“

Joachim reichte ihr die Hand. „So lass uns gemeinsam gegen die Banditen ziehen“, bot er an. Die Jungfer zögerte einen Moment und schaute auf seine Hand. Dann aber stimmte sie gerne mit einem Handschlag in diese Partnerschaft ein. Joachim genoss die Wärme ihrer zarten Haut, die auf ihn überfloss. Und er hätte sie am liebsten nimmermehr losgelassen. Da blickte er ihr in die lindenholzbraunen Augen und lächelte ihr zu. Schließlich fragte er: „Nun, da wir Gefährten sind, bitte ich dich, dass du mir deinen Namen nennst.“ Und die Jungfer antwortete, dass er sie Sitta nennen solle.

So berieten sich Sitta und Joachim, wie sie mit den Banditen verfahren sollten. Sie entschieden, dass sie zunächst den Dorfbewohnern Bericht erstatten wollten. Aber damit diese ihnen Glauben schenkten, bräuchten sie wohl einen Beweis. Und so schlichen sie erneut zum Lager, um ein Stück aus dem geraubten Schatz mit sich zu nehmen.

Die geraubten Schätze lagen auf der Grenze zwischen dem schattigen Waldrand und dem Lagerfeuer, wo sich die berauschten Banditen mittlerweile zum Schlafen gelegt hatten. Nur einige von ihnen hielten noch im Beisein eines Hundes Wache. Da sie diese Wachen besser meiden sollten, nährten sich Sitta und Joachim vorsichtig und achtsam immer näher an. Endlich waren sie angekommen und mussten schnell ein markantes Schmuckstück ausmachen. Gerade als Joachim nach einem Brokattüchlein mit aufgesticktem Stadtwappen griff, kam der Hund der Banditen witternd auf sie zu. Er stockte, blickte auf und begann, bedrohlich zu knurren. Joachim spürte, wie Sitta ihre Hand auf seinen Arm legte. Einer der Wächter wandte sich dem knurrenden Hund zu. „Ist da was?“, fragte er den Hund. Sittas Griff um Joachims Arm verstärkte sich. „Nimm das Tuch!“, zischte sie. „Und dann nichts wie weg.“ Der Wächter aber hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. „Ist da wer?“, fragte er in Richtung der Dunkelheit und kniff die Augen zusammen. Da er so lange dem Feuer zugewandt gewesen war, konnte er in den Schatten des Waldes nichts erkennen. Und das war ein Glück für Sitta und Joachim, die unter dem wütenden Bellen des Hundes aufsprangen und zurück in den Wald stürzten. Der Hund jagte hinterher. Seine Lefzen bebten und Speichelfäden flossen von seinen Zähnen. Er jagte Sitta und Joachim immer weiter. Und auch einige der Wächter kamen nun hinterher.

Sitta, die in dem Wald aufgewachsen war, zog Joachim auf ihrer zielsicheren Flucht hinter sich her. Das beginnende Zwielicht des anbrechenden Tages erleichterte ihnen, ihre Schritte zu setzen, und hielt sie zugleich noch vor ihren Verfolgern verborgen. Immer wieder warf Sitta einen Blick zurück, doch der Hund holte unerbittlich auf. Da knirschte Sitta mit den Zähnen und schob Joachim von sich fort. „Lauf! Wir treffen uns im Dorf!“, schnaubte sie und rannte in die entgegengesetzte Richtung. Joachim tat, wie ihm geheißen, und hoffte, dass der Hund ihm folgen würde. Auf einmal aber hörte er ein unmenschliches Brüllen, ein jämmerliches Fiepen und plötzlich Stille. Er blieb schlagartig stehen. Mit panischem Blick suchte er den Wald nach einem Zeichen von Sitta ab. Aber alles, was er hörte, waren die Banditen, die sich durch das Unterholz schlugen.

Vollkommen außer Atem erreichte Joachim das Dorf. Er rief sogleich die Dorfbewohner zusammen und berichtete von seinem Fund. „Nicht die Bären noch die Dorfbewohner sind hier Ursache des Streits. Banditen leben im Wald und bedienen sich eurer Uneinigkeit“, erklärte er und präsentierte als Beweis das Brokattüchlein, das die Frau des Dorfobersten sogleich als das ihrige erkannte. Da baten die Dorfbewohner, dass Joachim und seine Gefährten die Banditen vertrieben, sodass wieder Ruhe und Frieden in Barlewissen einziehen mögen. Er nickte. „Ich breche auf, sobald ich Sitta gefunden habe. Bevor ich nicht weiß, dass sie wohlbehalten ist, werde ich nicht in den Kampf ziehen.“

Da trat Sitta aus der Menge. Ihre Haare waren zerzaust und ihr weißes Gewand zerrissen und blutbefleckt. Joachims Herz stockte. Er eilte ihr entgegen und schaute nach Wunden. „Ich bin unverletzt“, beruhigte sie ihn. Dann lächelte sie. Und dieses Lächeln erinnerte Joachim daran, dass ihm diese Frau eines nicht gar so fernen Tages alles bedeuten würde. Sie lehnte sich ihm entgegen und nahm seine Hände. „Lass uns diese Banditen gemeinsam vertreiben“, schlug sie ihm vor.

So näherte sich die kleine Gruppe nach kurzer Vorbereitung dem Banditenhort. Einige der Banditen schliefen ihren Rausch aus. Doch die Wachen und einige andere waren in ein hitziges Gespräch vertieft, darüber, ob ihr im Wald gerissener Hund ein Zeichen sei, dass sie weiterziehen sollten, um das nächste Dorf mit ihrer List zu plündern. Da schlug einer von Joachims Gefährten im Flüsterton vor, die Banditen einfach ziehen zulassen. Ein Kampf ginge nicht ohne Blutvergießen vonstatten und zögen sie aus freien Stücken fort, herrschte in Barlewissen ebenfalls Frieden. Doch Joachim schüttelte den Kopf. „Ob sie hier oder in einem anderen Dorf ihr Unwesen treiben, ist einerlei. Es ist unsere Verantwortung, sie festzusetzen und der Gerichtsbarkeit zu übergeben.“ Dann ersann er einen Plan und weihte seine Begleiter ein. Er gab ihnen Zeichen und sie verteilten sich um das Lager herum. Zugleich sollten sie zugreifen, sodass die Banditen keine große Möglichkeit zur Wehr hatten.

Vorsichtig schlichen sich Sitta, Joachim und seine Gefährten von verschiedenen Punkten in das Lager. Jeder von ihnen hatte die Waffen zum Kampf gezogen. Sie wollten so tief wie möglich eindringen, bevor sie angriffen. Joachim war’s, der den ersten Banditen mit dem Schwert niederstreckte. Als dessen Körper schwer zu Boden fiel, bemerkte dies ein anderer Bandit. Jener zog sein Schwert und schlug Alarm. Dann jagte er auf Joachim zu.

Die Banditen waren in der Überzahl, aber von Alkohol und Müdigkeit geschwächt. Sie lieferten einen schweren Kampf und verwundeten einige der Gefährten. Joachim kämpfte tapfer. Seine Zeit als Ritter hatte seine Fertigkeiten wohl geübt. Doch die Mühen der letzten Tage und der Mangel an Schlaf forderten ihren Tribut und als drei Banditen zugleich auf ihn stürzten, fiel es ihm schwer, die Schläge zu parieren. Immer unerbittlicher folgten die Hiebe. Und Joachim musste sich immer weiter zurückziehen. Dabei ward er mehr und mehr in die Richtung eines vierten Banditen gedrängt, der sich bereits zum hinterhältigen Schlag bereit machte. Erst im letzten Moment sah Joachim das erhobene Schwert hinter sich. Doch anstatt von einem scharfen Schwerthieb, ward er von einem weichen Körper zu Boden gerissen.

Sitta hatte gesehen, in welcher Gefahr sich Joachim befunden hatte, und war ihm zu Hilfe geeilt. Sie hatte ihn umgestoßen und blickte nun auf die Banditen, die sie und Joachim umgaben. Ihre Haut begann zu flimmern, wie Luft in der Hitze. Um sie herum formte das wirre Licht die mächtige Gestalt eines Bären. Sie öffnete den Mund und brüllte furchteinflößend in der Stimme eines Bären. Die Banditen zögerten. Und im nächsten Moment stürzte die Bärin aus dem Unterholz, um ihr Junges zu beschützen.

Als die Bärin zu wüten begann, war der Kampf alsbald siegreich beendet. Die verbliebenen Banditen ergaben sich und wurden der Gerichtsbarkeit von Barlewissen übergeben. Die Schätze wurden den Dorfbewohnern zurückgegeben und in ihrer Erleichterung bedankten sie sich überschwänglich. Sie entlohnten Joachim und seine Gefährten großzügig. Sitta und den Bären wiederum versprachen sie einen aufrechten und dauerhaften Frieden. Dann wurde in dem Dorf ein dreitägiges Fest gehalten. Die Wahrheit war gefunden. Und Barlewissen war nunmehr sicher.

Nachdem sich der Staub der Schlacht gelegt hatte und die Anstrengungen sich in eine feierliche Erleichterung gewandelt hatten, standen Joachim und Sitta etwas abseits beieinander. Sie schwieg. Er betrachtete sie forschend. „Was habe ich dort auf dem Schlachtfeld gesehen?“, fragte er schließlich. „Eines Bären Tochter“, antwortete Sitta mit gesenktem Blick. „Wir entspringen einem langen Geschlecht an Wächtern des Waldes“, erklärte sie weiter. Und dann erzählte sie, dass es dieser Wächter einige gäbe. Sie hätten vielerlei unterschiedliche tierische Gestalten, doch alle hundert Jahre würde einer ihrer Nachkommen in der Gestalt eines Menschen geboren und führte das Leben eines Menschen. Zugleich erbten sie die Talente ihrer Linie und gäben sie an ihre Kinder weiter. „Ich bin der menschliche Nachkomme unserer Linie“, schloss sie ihre Erzählung. Da lächelte Joachim und tat einen vorsichtigen Schritt auf sie zu. Er beugte sein Knie und nahm zärtlich ihre Hand, um einen Kuss darauf zu hauchen. „Es ist mir eine Ehre, dich kennengelernt zu haben“, sagte er mit einem Lächeln.

Joachim begleitete Sitta zurück auf die Lichtung, wo sich die Bärin mit ihren drei Jungtieren befand. Joachim schien es ganz so, als zwinkerte die Bärin ihm zu. Dann kam sie ihm ein paar Schritte entgegen und beugte ihr Haupt ein kleines Stück. „Du hast wohl getan, Mensch“, brummte die Bärin schließlich. „Du hast Großmut und Weisheit bewiesen. Geduld, Verstand und Geschick.“ Joachim lächelte, aber er schwieg. Erfreut über die wohlwollenden Worte dieses Wächters des Waldes. So fuhr die Bärin fort: „Ich will dich für deine redliche Tat belohnen. Von nun an soll dein Geschick als Schlichter und Zeuge von der Welt gesehen und gelohnt werden. Wer immer dich und deine Nachkommen antrifft, soll euer redliches Handeln mit Hochachtung, Ehre und großem Lohn bedenken. Dein Geschlecht soll die Zeit überdauern und zu hohem Ansehen und Wohlstand gelangen. Und um dies zu sichern, biete ich dir meine Tochter zum Geleit. Denn ich sehe, dass ihr einander wohl zugetan seid.“ Da fand Joachims Hand die von Sitta und sie lächelten einander voller Zuneigung zu. Und sie wussten, dass sie sich eines baldigen Tages alles bedeuten würden.

Nicht lange danach wurde Hochzeit gehalten zwischen der Bärentochter und Joachim. Die dankbaren Dorfbewohner und die Bärin mit ihren Jungtieren feierten diese Verbindung. Und der Dorfoberste verlieh dem jungen Paar den Namen „Haus von Berleip“.

Das junge Paar verlebte glückliche Jahre. Sie waren einander ebenbürtig und behandelten sich mit Respekt und Liebe, wie sie es von ihren Familien gelernt hatten. Und schließlich bekamen sie ihren ersten Sohn, den sie Cunradus nannten. Als sie ihren Sohn in ihren Armen wiegten, wussten sie, dass sie ihm die noblen Werte des Hauses von Berleip lehren würden. Sie würden ihn lehren, zu lieben und Mitgefühl zu haben. Sie würden ihn lehren, klug und bedächtig zu handeln. Und sie würden ihn lehren, demütig zu sein gegenüber der Welt. Und Joachim blickte voller Liebe und Stolz auf seinen Sohn. Er küsste seine Frau, die ihm alles bedeutete, und flüsterte die Wünsche, die er für seine Familie hegte, in den Wind.

Dieser Wind streift auch jetzt, viele Generationen später, noch über die Mauern jenes altehrwürdigen Schlosses, das dereinst nach vielen Unruhen, Wendungen und Geschicken des Lebens der Stammsitz der Familie von Berleip sein sollte. Dutzende von Geschichten sollten noch geschehen, bevor die Familie vom Hause Berleip hoch über den Lindenkronen des Werratals ihre angestammte Heimat fand, und ihr Name sich in „von Berlepsch“ wandelte. Die Heimat aber, die sie dort fanden, ward Schauplatz von noch hunderten weiterer Geschichten. Geschichten von Rittern und Dichtern, Schriftstellerinnen und Gottesdienerinnen, Raufbolden und Halunken. Geschichten von tüchtigen Geschäftsleuten, wagemutigen Wüstlingen, tapferen Müttern, klugen Vordenkern und frühen Emanzipatorinnen. Über Jahrhunderte hinweg begleitete dieses Schloss über den Lindenkronen des Werratals die Familie von Berlepsch als deren Stammsitz durch die unterschiedlichsten Epochen. Es begleitete sie durch gute, schlechte, friedliche und aufgewühlte Zeiten. Und dabei unterzog es sich selbst einem ständigen Wandel. Einstig eine wehrhafte Feste ward das Schloss zu einem wohnlichen Heim und einer gewichtigen Kulturstädte. Und so fand Schloss Berlepsch seinen Platz in der Welt. Als Zeuge einer alten Zeit und Tor in eine glorreiche Zukunft ist Schloss Berlepsch eine Heimat für jene, die ihr Leben in den Dienst der redlichen Tugenden der Familie von Berlepsch stellen wollen.

Werkseminar

Kursname:                Werkseminar

Klientel:                      Erwachsenengruppe von 5-8 Personen

Kursleiter:                 Marie Bär

Terminanzahl:         nach Bedarf (Einmalig, Wochenende, Kurs)

Terminlänge:           75 Minuten pro Termin

Inhalt:                                                                                                                                                                                                      Es kann eines von drei Materialien – Speckstein, Korbflechten, Gipshände – für einen Grundkurs, ein Wochenendseminar oder einen längeren Kurs ausgewählt werden. Die Flexibilität im individuellen Zusammenstellen haben Einfluss auf den verhandelbaren Preis.

Räumlichkeiten:    möbelierter Werkraum (noch nicht vorhanden)

Material:                    nach Wahl Speckstein, Gips oder Peddigrohr (nach Verbrauch)

Stundenkonzept:                                                                                                                                                                           Sie entscheiden, wie tief sie in das von Ihnen bevorzugte Material einsteigen. Es ist sowohl möglich, an einem einmaligen Abend unter Freunden (z.B. Junggesellenabschiede, Geburstage, …) mit dem Material in Kontakt zu kommen, als auch die Buchung eines längeren Kurses, in Laufe dessen tiefer in die Materialerfahrung eingetaucht wird.

Peddigrohr: Peddigrohr ist ein hochwertiges Naturmaterial, das zum Flechten 
     unterschiedlicher Gegenstände verwendet werden kann. In diesem 
     Fortmart wird der Fokus aufs Korbflechten gelegt. Das Material wird 
     mitgebracht und nach Verbrauch berechnet. Zusätzliche Zierden (Perlen, 
     Bänder, Stoffe, ...) können selbst mitgebracht werden.
Dieses Material eignet sich sowohl für einen einmaligen Abend als auch für einen weiterführenden Kurs.

Speckstein: Dieser weiche Talkstein lässt sich relativ leicht bearbeiten 
     und sorgt mit seinen unterschiedlichen Maserungen für lebhafte 
     Ergebnisse. Es können Statuetten, Handschmeichler, Anhänger und vieles 
     mehr gestaltet werden. Das Material wird mitgebracht und nach 
     Verbrauch berechnet. 
Dieses Material eignet sich sowohl für einen einmaligen Abend als auch für einen weiterführenden Kurs.

Gipshände: Um Gipshände zu fertigen wird zunächst Ihre individuell gewählte 
     Handhaltung in Gipsbinden eingefasst. Diese Einmal-Form wird mit 
     Gussgips gefüllt. Ist dieser Gussgips ausgetrocknet, wird die Form 
     entfernt und die entstandene Statuette wird mit Schnitz- und 
     Schlefifwerkzeug beendet. Das benötigte Werkzeugt wird mitgebracht und 
     nach Verbrauch verrechnet.
Dieses Projekt eignet sich durch die notwendige Trockenzeit des Materials besonders für ein Wochenendseminar.

Preis:                           78,00 Euro pP + Material nach Verbrauch + Anreise & ggf Spesen

Anmerkungen:                                                                                                                                                                                         Dieses Seminar ist in Material sowie in Stundenaufteilung individuell zusammenstellbar.

Märchendinner

Eventname:             Märchendinner

Gäste:                     eingeladene Gäste mit Kartenvorverkauf

Leiter:                 Marie Bär und Gastronomie

Terminanzahl:         1

Terminlänge:           2-4 Stunden

Inhalt:                                                                                                                                                                                                       Dieses Angebot wendet sich an gastronomische Betriebe, die Ihr kulinarisches Angebot mit einem besonderen Event würzen wollen. Hierbei wird im Rahmen eines abendfüllenden Mehr-Gänge-Menüs des Hauses ein Märchen der Reihe der RieCa’s Fairytales vorgelesen. Die Karten für dieses Event werden im Vorhinein im Vorverkauf vertrieben. Nach dem Mahl und die Lesung schließt sich nach Wunsch ein Austausch zwischen der Autorin und den Gästen über das genossene Märchen an und natürlich ist auch der Erwerb der Märchenbücher möglich.

Räumlichkeiten:    der Raum wird durch die Gastronomie gestellt

Material:                    Buch (und durch Gastronomie gestellte Speise)

Die Bücher:                                                                                                                                                                                              Bei einer Lesung, die in ein längeres Menü eingebettet ist, lohnt sich die Lesung eines längeren Buches, das in drei Episoden eingeteilt wird, die zwischen den einzelnen Gängen gelesen werden. Die Wahl des zu lesenden Märchens steht dem gastronomischen Betrieb frei. Zu empfehlen sind aber folgende Geschichten:

Das Spiegelmädchen (ab 13 Jahre): Ein recht klassisches Märchen über einen jungen Mann, der die Welt für sich erkundet (Episoden: Aufbruch und Ausbildung – Themenstrang verzauberte Jungfer – Erlösung und glückliches Ende)

Vom Geheimnis der Zeit (ab 15 Jahre): Ein eher ernstes und tiefes Märchen über einen verheirateten Vater, der mit seinem Tod konfrontiert wird und einen Handel mit ihm eingeht. (Episoden: Aufbruch und Reise – Begegnung mit der Zeit – Rückweg und Ende)

Das Juwelenkind (ab 7 Jahre): Eine Geschichte über ein magisches Mädchen, das Fragen bezüglich Wünsche, Sinn und die Suche nach einem Platz in der Welt stellt. (Episoden: Kindheit – Reise – Rückkehr)

Der Weg zu den Sternen (ab 12 Jahre): Ein Elfenmärchen, das sich mit der Diskrepanz zwischen Zugehörigkeit und Potential beschäftigt. (Episoden: unverschuldete Verbannung – Reise und Selbstfindung – Rückkehr)

Auch geeignet wären: Das Lachen der Prinzessin, Jarline und ihr Mond, Der ewige Turm, Ein teuflisches Mädchen, Die verwunschene Blume, Die Knospe aus Bernstein, Das ewige Gemälde, Das Mädchen im Schatten, Der Kristall der Glückseligkeit, Die Höhle der Sterne

Preis:                          300,00 Euro pP + Anreise & ggf Spesen

Anmerkungen:                                                                                                                                                                                    Der Preis kann je nach Umfang und Setting angepasst werden.

30.09.2019 Gewinnspiel

Vom 01.08 bis zum 30.09.2019 findet auf meiner Facebookseite ein Gewinnspiel statt. Hauptgewinn ist ein Märchenbilderbuch der eigenen Wahl aus der großen Sammlung der RieCa’s Fairytales! Preis zwei bis vier ist handgefertigter Haarschmuck.

Das Gewinnspiel endete zum 30.09 und war durchaus ein Erfolg.
Es fällt mir schwer zu sagen, ob meine Bekanntheit dadurch wirklich gestiegen
ist, aber es war spannend, es auszurichten. Und die Gewinner waren sehr
zufrieden mit ihren Preisen.

Impepssionnen: